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Der Thron der roten Königin

Der Thron der roten Königin

Titel: Der Thron der roten Königin
Autoren: Philippa Gregory
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den Gedanken nicht, er könnte am Morgen ohne Jasper an der Seite in die Schlacht ziehen müssen.
    Er wartet auf Nachricht von Lord Stanley. Der Graf hatte gesagt, er würde mit seiner gewaltigen Streitmacht kommen, sobald Henry die Schlachtreihen aufgestellt habe, doch jetzt kommt ein Bote mit der Nachricht, Stanley werde nicht vor der Morgendämmerung eintreffen – er habe sein eigenes Lager aufgeschlagen, seine Männer hätten sich für die Nacht niedergelassen, und es wäre dumm, sie in der Dunkelheit aufzuscheuchen. Er käme am Morgen, mit dem ersten Tageslicht. Wenn die Schlacht beginne, werde er zur Stelle sein, dessen könne Henry gewiss sein.
    Henry kann sich dessen keineswegs gewiss sein, doch er kann nichts tun. Zögernd wirft er einen letzten Blick nach Westen, falls sich dort in der Dunkelheit die auf und ab hüpfende Fackel Jaspers abzeichnete, bevor er sich in sein Zelt begibt. Er ist ein junger Mann, und dies ist die erste Schlacht, die er für sich selbst kämpft. Er findet wenig Schlaf in dieser Nacht.
    Schreckliche Träume plagen ihn. Er träumt, dass seine Mutter zu ihm kommt und ihm erklärt, sie habe einen Fehler gemacht, Richard sei der wahre König und die Invasion, die Schlachtreihen, die Feldlager, das alles sei eine Sünde gegen die Ordnung des Königreiches und gegen die Gesetze Gottes. Ihr blasses Gesicht ist ernst, und sie verflucht Henry als Thronräuber, der versucht, einen wahren König vom Thron zu stoßen, ein Aufständischer, der sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge wendet, ein Häretiker gegen die heiligen Gesetze Gottes. Richard ist ein gekrönter König, seine Brust wurde mit heiligem Öl gesalbt. Wie kann ein Tudor das Schwert gegen ihn erheben? Er wälzt sich hin und her, wacht auf, fällt in einen leichten Schlaf und träumt, Jasper segelte ohne ihn nach Frankreich zurück, voller Kummer über seinen Tod auf dem Schlachtfeld. Dann träumt er, dass Elizabeth, die Prinzessin von York, die junge, ihm unbekannte Frau, die ihm zur Gemahlin versprochen ist, zu ihm kommt und sagt, sie liebe einen anderen Mann, niemals werde sie willig seine Gemahlin, er werde sich vor allen Leuten zum Narren machen. Sie betrachtet ihn mit ihren schönen grauen Augen, die voll kalten Bedauerns sind, und sagt ihm, jeder wisse, dass sie einen anderen Mann zum Liebhaber genommen habe und sich immer nur nach ihm verzehren werde. Ihr Liebhaber sei ein starker und schöner Mann, im Gegensatz zu Henry, den sie als hasenherzigen Jungen verachte. Er träumt, dass er den Beginn der Schlacht verschlafen hat, und springt entsetzt aus dem Bett, stößt sich den Kopf an der Zeltstange und steht nackt und zitternd da, wach gerüttelt von seinen Ängsten – viele Stunden vor der Morgendämmerung.
    Trotzdem weckt er seinen Knappen mit einem Tritt und schickt ihn, heißes Wasser zu holen, und er lässt einen Priester kommen, der ihm die Messe lesen soll. Doch es ist zu früh: Die Lagerfeuer sind noch kalt, es gibt kein heißes Wasser, kein frisches Brot und auch kein Fleisch. Sie können den Priester nicht auftreiben, und als sie ihn doch finden, schläft er noch. Er braucht etwas Zeit, um sich vorzubereiten, und kann nicht sofort mit Henry Tudor beten. Die Hostie ist noch nicht geweiht, und das Kreuz soll in der Morgendämmerung aufgestellt werden, nicht jetzt, im Dunkeln. Die Messgewänder sind noch im Tross, sie waren so lange auf dem Marsch, dass er sie erst suchen muss. Henry muss sich in seine Kleider kauern, die seinen nervösen, kalten Schweiß ausdünsten, und auf die Morgendämmerung warten und darauf, dass der Rest der Welt allmählich aufsteht, als wäre heute nicht der Tag, an dem er den Tod finden könnte.
    König Richard ruft seine Männer zu einer zeremoniellen Erklärung, wie ernst diese Schlacht ist, und lässt sie ihren Treueeid der Krönung erneuern. Nur in Augenblicken größter Gefahr lässt ein König die Treueschwüre seines Volkes erneuern. Von den Anwesenden hat niemand je einem solchen Akt beigewohnt, und ihre Gesichter sind blank vor Ernst. Zuerst treten die Priester und ein Chor gemessenen Schrittes vor die Männer, gefolgt von den Lords und den großen Männern des Reiches, für die Schlacht gekleidet, die Standarten vor sich, und schließlich kommt der König, der seine prächtig gravierte Schlachtrüstung trägt, barhäuptig im warmen Morgenlicht. In diesem Augenblick, da er seinen Thronanspruch erneuert, sieht er viel jünger aus als zweiunddreißig. Er sieht hoffnungsvoll
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