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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen
Autoren: Friedrich Glauser
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sehen?«
    »Nein, nein…« Wladimirs Stimme war heiser. Er wechselte schnell das Thema. »Ich bin mit einem Notar herausgefahren, um mir das Haus hier anzusehen. Ich möchte es kaufen.«
    »So, so«, sagte Pillevuit. Sein Geist arbeitete ein wenig langsam. Warum war Wladimir Rosenstocks Stimme so heiser? Und blaß der Mann…! »Darf ich Sie ins Haus begleiten, es interessiert mich auch. Nicht wahr, die Leiche ist hier ganz in der Nähe gefunden worden. Vielleicht ist sie in dem Haus verborgen gehalten worden. Es handelt sich nämlich wieder um eine Vergiftung, wissen Sie? Der Tod hängt mit den andern Todesfällen zusammen, Sie wissen ja, welche ich meine. In der Ellbogenbeuge ist wieder das Zeichen der ›Teufelskralle‹, wie mein Freund O'Key sagt. Also, ich folge Ihnen ins Haus.«
    Das Sanitätsauto entfernte sich. Pillevuit winkte Herrn Despine. Sie wurden beide dem Notar vorgestellt.
    »Gut, gehen wir«, sagte Wladimir.
    Er schritt auf das Haus zu, drückte auf die Klinke.
    »Wollen Sie mir den Schlüssel geben?« wandte er sich an den Notar. Der Notar öffnete, die vier Herren traten ein.
    Ein großer Raum nahm das ganze Erdgeschoß ein. Es roch sonderbar. In einer Ecke stand ein Harmonium, in einer andern ein großes Schrankgrammophon. Viele Stühle standen an den Wänden. Zwischen zwei Fenstern stand ein Stehpult, weiße Foliobogen lagen darauf. Es roch merkwürdig im Raum. Pillevuit schnupperte.
    »Wer hat hier gewohnt?« fragte er.
    »Der frühere Besitzer«, erklärte Wladimir, »hat sich mit christlicher Wissenschaft beschäftigt. Er hielt hier Versammlungen ab. Jetzt ist er ins Ausland verreist, und ich kann das Haus billig haben.«
    »Christliche Wissenschaft?« fragte der Kommissar. »Merkwürdig.« Er trat an eins der hinteren Fenster, betrachtete das Haus, das in einigen hundert Metern Entfernung, von Bäumen umgeben, stand und fragte: »Wer wird Ihr Nachbar sein? Mir scheint, ich kenne das Haus…«
    Rosenstock trat zu ihm. »Das Haus dort? Ich weiß nicht. Wissen Sie, ich kümmere mich nicht um meine Nachbarn.«
    »Das sollten Sie aber entschieden!« mischte sich der Untersuchungsrichter ein. »Das Haus gehört nämlich einem sehr merkwürdigen…«, Herr Despine verstummte. Des Kommissars Ellbogen hatte sich schmerzhaft in seine Seite gebohrt.
    Und Pillevuit fuhr fort: »Es gehört einem Genfer Aristokraten, Herrn Micheli, so viel ich weiß…«
    »So, Herrn Micheli«, sagte Rosenstock uninteressiert.
    Durch die offene Tür war deutlich das Näherkommen eines Motorrades zu hören. Es stoppte. In der Tür erschien, verschwitzt, staubig, mit Wülsten an den Hosenknien, ein Mann, und Kommissar Pillevuit ging ihm entgegen.
    »Was ist los, Dériaz?« fragte er. Dériaz zog ein Kuvert aus der Tasche und überreichte es Pillevuit. Der Kommissar las, streichelte seinen blonden Fahnenbart, reichte Herrn Despine das Blatt. Der zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe.
    »Auf Wiedersehen, Doktor«, sagte der Kommissar und blickte Wladimir an. Dem schien der Blick Unbehagen zu bereiten.
    »Was ist denn los?« fragte er.
    »Dienst«, sagte Pillevuit nachlässig. »Wir Polizisten sind geplagte Menschen. Immer müssen wir Leute verhaften.«
    »Also eine Verhaftung?« fragte Wladimir gespannt.
    »Ja«, sagte Pillevuit, und er wußte selbst nicht, warum er den Arzt so angestrengt beobachtete. Später behauptete er natürlich, es sei dies auf Intuition zurückzuführen gewesen. »Ja, und Sie werden nie erraten, wen die Hand der Gerechtigkeit ergreifen wird.«
    »Wen denn?« erkundigte sich Rosenstock. Das Beben in der Stimme fiel selbst dem Untersuchungsrichter auf.
    »Ach, nur den Oberwärter in Bel-Air, einen gewissen Jaunet. Kennen Sie ihn vielleicht?«
    »Jaunet?… Ich ?… Kennen?…« stotterte Wladimir Rosenstock. Dann sehr energisch: »Nein!«
    »Also, auf Wiedersehen, Doktor.«
    Wladimirs Hände waren vorerst mit dem Anzünden einer Zigarre beschäftigt. Es dauerte lange. Die Flamme erreichte die Finger, die das Hölzchen hielten.
    »Auf Wiedersehen, Kommissar«, sagte endlich Dr. Rosenstock und warf das Hölzchen fort. »Leben Sie wohl, Herr Untersuchungsrichter.«
    »Dériaz, Sie können hinter uns fahren«, sagte draußen Kommissar Pillevuit, und dann, zum Untersuchungsrichter gewandt: »Merkwürdiges Haus, finden Sie nicht auch? Es roch nach Weihrauch, haben Sie gemerkt? Schade, daß mein Freund, der Irokese, nicht bei uns war. Der hätte Ihnen eine ausgezeichnete Vorlesung über Hexen und
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