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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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beschaffst, du großes Tier von einem Agenten.«
    Es hatte keine solchen Rollen mehr gegeben. Lilys letzte Rolle, zwei Jahre nach Phils Tod, war die einer zynischen Ex-Prostituierten in einem Film mit dem Titel Motorcycle Maniacs gewesen.
     
    Jack wusste, dass Lily jetzt an diese Zeit zurückdachte, als er das Gepäck aus dem Kofferraum und dem Fond zerrte. Ein d’Agostino-Beutel war bis auf das große D’AG hinunter aufgerissen und hatte einen Wust von aufgerollten Socken, losen Photos, Schachfiguren, Schachbrett und Comics über alles andere im Kofferraum entleert. Jack gelang es, den größten Teil dieser Sachen in anderen Beuteln zu verstauen. Lily stieg langsam die Vordertreppe hinauf und zog sich dabei am Geländer hoch wie eine alte Dame. »Ich schicke den Pagen«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
    Jack richtete sich von den voll gestopften Beuteln auf und blickte wieder zum Himmel empor, wo er einen Regenbogen gesehen zu haben glaubte. Es war kein Regenbogen da, nur der unerfreuliche, wechselhafte Himmel.
    Und dann:
    »Komm zu mir«, sagte hinter ihm jemand mit leiser und deutlich hörbarer Stimme.
    »Wie?« fragte er und fuhr herum. Vor ihm der leere Garten und die Auffahrt.
    »Ja?« sagte seine Mutter. Auf die Klinke der großen Holztür gestützt sah sie aus, als hätte sie einen krummen Rücken.
    »Irrtum«, sagte er. Da war keine Stimme gewesen, kein Regenbogen. Er vergaß beides und blickte zu seiner Mutter hinauf, die sich mit der riesigen Tür abmühte. »Warte, ich helfe dir«, rief er und trabte die Stufen hinauf, beladen mit einem großen Koffer und einer bis zum Platzen mit Pullovern voll gestopften Papiertüte.
     
    4
     
    Bevor er Speedy Parker begegnete, hatte sich Jack durch die Tage im Hotel bewegt, ohne sich des Vergehens der Zeit deutlicher bewusst zu sein als ein schlafender Hund. In diesen Tagen voller Schatten und unerklärlicher Übergänge kam ihm sein ganzes Leben fast wie ein Traum vor. Selbst die entsetzliche Nachricht über Onkel Tommy, die am Abend zuvor eingetroffen war, hatte ihn, so bestürzend sie war, nicht vollständig aufgeweckt. Wäre Jack ein Mystiker gewesen, hätte er vielleicht gedacht, dass andere Kräfte von ihm Besitz ergriffen hatten und das Leben seiner Mutter und sein eigenes manipulierten. Mit seinen zwölf Jahren war Jack Sawyer gewohnt, etwas zu tun, und die stumme Untätigkeit dieser Tage im Gefolge des Trubels von Manhattan hatte ihn zutiefst verwirrt und aus der Fassung gebracht.
    Jack hatte sich am Strand wieder gefunden, ohne Erinnerung daran, dass er hergekommen war, ohne Vorstellung davon, was er hier wollte. Vermutlich trauerte er um Onkel Tommy, aber ihm war, als wäre sein Verstand schlafen gegangen und hätte seinen Körper sich selbst überlassen. Er konnte sich nicht lange genug konzentrieren, um der Handlung der Situationskomödien zu folgen, die er und Lily im Fernsehen sahen, oder Einzelheiten seiner Bücher im Kopf zu behalten.
    »Du bist müde von all dieser Herumzieherei«, hatte seine Mutter gesagt, während sie einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette tat und ihn durch den Rauch hindurch anblinzelte. »Aber du brauchst nichts zu tun, Jacko. Dies ist ein guter Ort. Genießen wir ihn, solange wir können.«
    Auf dem leicht rotstichigen Fernsehbild betrachtete Bob Newhart nachdenklich einen Schuh, den er in der rechten Hand hielt.
    »Genau das tue ich, Jacky.« Sie lächelte ihn an. »Ich ruhe mich aus und genieße es.«
    Er sah auf die Uhr. Zwei Stunden hatten sie vor dem Fernseher gesessen, und er konnte sich an nichts erinnern, was dieser Sendung vorausgegangen war.
    Jack wollte gerade zu Bett gehen, als das Telefon läutete. Der gute alte Onkel Morgan Sloat hatte sie aufgespürt. Onkel Morgans Neuigkeiten waren nie sehr erfreulich, aber wie es schien, war dies sogar nach Onkel Morgans Maßstäben eine Bombe. Jack stand mitten im Zimmer und sah, wie das Gesicht seiner Mutter blasser, blasser, blasser wurde. Ihre Hand glitt an ihre Kehle, an der in den letzten paar Monaten neue Falten erschienen waren, und presste sich leicht dagegen. Sie hatte kaum ein Wort gesagt, nur zum Schluss hatte sie »Danke, Morgan« geflüstert und dann den Hörer aufgelegt. Dann hatte sie sich zu Jack umgedreht und dabei älter und kränker ausgesehen als je zuvor.
    »Du musst jetzt ganz tapfer sein, Jacky, ja?«
    Er war sich überhaupt nicht tapfer vorgekommen.
    Sie hatte seine Hand ergriffen und es ihm gesagt:
    »Onkel Tommy ist heute Nachmittag bei einem
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