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Der Tag wird kommen

Der Tag wird kommen

Titel: Der Tag wird kommen
Autoren: Nina Vogt- stli
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kann, wenn es nur schnell genug passiert.
    Jetzt müsste ich eine Waffe haben. Am liebsten ein Maschinengewehr. Etwas, aus dem man lange feuern kann, um sicherzugehen, dass man trifft. Aber ich habe keine Ahnung, wie man an so was herankommt. Irgendwo habe ich noch ein Pfadfindermesser, aber das habe ich nicht mehr gesehen, seit ich in der vierten Klasse oder so war. Ich durchwühle alle meine Schubladen, reiße alte Aufsatzhefte heraus, Diplome von der Skischule, Schwimmabzeichen, PC-Spiele, von denen ich ganz vergessen hatte, dass ich mal Stunden und Tage damit zugebracht habe, aber ich finde keine Waffe. Nichts, was schärfer ist als Büroklammern und ein Tacker. Ich kann ihm doch nicht in die Schläfe tackern. Wo zum Teufel ist das Messer abgeblieben?
    In der Küche sind mehr als genug Messer. Nicht gerade frisch geschliffen, aber die sind bestimmt scharf genug. Problem ist, dass es dazu kein Futteral oder so was gibt. Ich kann ja schlecht mit einem langen Brotmesser in der Hand losziehen und Andreas suchen.
    Ich wähle das kleinste Messer. Es ist ziemlich spitz. Ich wickle es in ein Geschirrtuch ein. Das sieht auch ganz schön bescheuert aus, mit einer dicken Handtuchrolle herumzulaufen. Um nicht zu sagen, höchst verdächtig. Ich lege sie in meine Sporttasche und ziehe den Reißverschluss sorgfältig zu. Jetzt fehlen mir nur noch eine Militärhose und ein rasierter Schädel. Und vielleicht zehn Kilo Muskeln.
    Aber ich bin Marathon Man . Ich gehorche meinem Schicksal. Ich werde Feras letzten Wunsch erfüllen. Ich werde die große Katastrophe verhindern.
    Es ist ein ziemlich schöner Tag. Die Sonne scheint, es ist kalt draußen, aber nicht unangenehm. Die Blätter, die noch nicht von den Bäumen gefallen sind, leuchten rot und knallgelb. Der perfekte Rahmen für einen Ausflug mit Kakao, Händchen haltende Liebespaare, Kinder, die im Laub spielen, alte Damen, die ihren Hund Gassi führen. Kein Setting für einen Mord aus dem Hinterhalt. Aber ich glaube trotzdem, dass genau das passieren soll. Warum sonst sollte er an seinem üblichen Platz sitzen und mit seinem Kätzchen schmusen?
    Ich muss mir wirklich alle Mühe geben, um mir in Erinnerung zu rufen, wie böse Andreas ist. Er sieht beinahe väterlich aus, wie er das Katzenkind unterm Kinn krault.
    Ich wünschte fast, ich hätte ihn nicht hier gefunden. Sollte es so leicht sein? Einfach ein Messer nehmen und im Wald nachsehen, ob er da ist, ohne einen Plan? Und dann sitzt er genau dort, wo ich es vermutet hatte, bereit, sich abschlachten zu lassen? Es ist sicher ziemlich feige, sich von hinten anzuschleichen, aber was bleibt mir anderes übrig? Ich kann ja nicht riskieren, dass er abhaut. Es ist gefährlich, mit einem Messer in der Hand zu rennen. Und er ist ja viel stärker als ich. Er könnte auf die Idee kommen, mir das Messer aus der Hand zu nehmen. Ohne Probleme. Während er dabei lacht.
    Es ist ziemlich schwierig, sich hinter so löchrigem Blattwerk zu verstecken. Ich muss auf dem Bauch hinter einem Busch liegen und auf Andreas am Fuß des Hügels hinunterblicken. Wie soll ich es schaffen, mich an ihn heranzuschleichen, ohne dass er sich umdreht? Andreas zögert nicht, wenn er die Gelegenheit hat, jemanden auszuschalten. Aber mir bleibt verdammt noch mal nichts anderes übrig. Wenn ich mich jetzt zurückziehe, wird das nie was.
    Ich habe ein Messer.
    Er sitzt genau dort, wo er soll.
    Bleibt nur noch, es zu tun.
    Ich muss es nur tun.
    Mir ist ganz leicht im Kopf. Fast schwindelig. Nun heißt es, jetzt oder nie. Es sieht aus, als ob die kleine Katze eingeschlafen ist. Sie liegt reglos zusammengerollt auf Andreas’ Schoß. Ich versuche, die Sporttasche zu öffnen, aber das ist gar nicht so einfach, wenn es geräuschlos passieren soll. Der Reißverschluss klemmt. Wieso habe ich diese blöde Tasche so fest zugemacht?
    Fera ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit tot, also hat Andreas es verdient, ebenfalls zu sterben. Und dann kriege ich diesen verdammten Reißverschluss nicht auf. Meine Finger sind kalt und steif, das macht es nicht leichter. In meinem Kopf sind Bilder von Fera. All die Erdbeben. Und Sonnenstürme. Die neue Katastrophe.
    Ich denke an Zurück in die Zukunft und die Familienfotos, die sich langsam auflösten. Was, wenn Feras Versuch, die Katastrophe zu verhindern, ein neues Unglück ausgelöst hat? Wenn Andreas nicht der Diktator wird, gibt es ja gar keine Katastrophe. Dann bildet kein Rat die Regierung. Dann gibt es niemanden, der Fera in einer
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