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Der Tag der Messer: Roman (German Edition)

Der Tag der Messer: Roman (German Edition)

Titel: Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
Autoren: Alexander Lohmann
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Sogleich fuhren sie wieder herum und wichen zwei Schritte zurück, als fürchteten sie, mit dem Verbannten verschlungen zu werden.
    Der Scharfrichter hielt die Arme ausgebreitet wie zu einer Umarmung. Der Gnom schlug vor ihm auf den Boden, stolperte in seinen Ketten weiter, kippte nach vorne … und verschwand. Darauf klatschte der Scharfrichter einmal scharf, und das Unlicht erlosch.
    Die Zuschauer blickten wieder auf. Sie starrten zum Schafott empor. Das Labyrinth des Schreckens. Niemand in der Menge wusste wirklich, was für ein Ort sich hinter dieser Bezeichnung verbarg. Doch jeder kannte seine Bedeutung: Es war wie der Tod, nur mit dem Grauen vorweg, an einem Ort jenseits der Welt und verloren.
    »Das Urteil wurde vollstreckt«, verkündete der Herold. »Wito der Gnom ist verbannt, und sein Schicksal soll allen zur Warnung dienen.«
    Der Scharfrichter verschränkte die Hände und schickte sich an, von dem Podest zu treten. Der Kobold sprang hinter dem Nachtalb umher. Er schlug die Rassel, und der Herold zog die Augenbrauen zusammen und starrte missbilligend in die Menge.
    Da ertönte ein leises Stimmchen, von so weit unten aus der Masse an Köpfen und Gesichtern, als hätten irgendjemandes Füße plötzlich sprechen gelernt. »Pfui!«, rief die Stimme. »Schande! Nach allem, was Wito getan hat! Die Schwarze Fei wäre nicht an der Herrschaft ohne …«
    Das Weitere ging unter im Gemurmel. Alle sprachen durcheinander, es gab Meinungen und Widerworte, und mancher griff die Rufe auf: »Pfui!« und »Schande!«
    Schreie mischten sich in das Raunen. Bewaffnete Goblins tauchten auf. Eben noch waren sie von Umstehenden verdeckt gewesen, nun verschafften sie sich Platz. Eilig wichen die Schaulustigen zurück, als die Krieger ihre Waffen schwangen. Sie bahnten sich einen Weg zu der Stelle, wo die erste Stimme erklungen war. Auch die Wachen um das Podest setzten sich in Bewegung und trieben die Menge auseinander.

 
    Ein Urwald entspross dem Mauerwerk und füllte das ganze Zimmer. Das Pult stand mitten im Dickicht. Blätter umrankten die Bücherregale, Stämme krümmten sich zu Fächern und Luftwurzeln hingen von der Decke tief in den Raum hinab. An einigen davon waren Dinge befestigt, die der Bewohner dieser Räumlichkeiten rasch griffbereit haben wollte – Schriftrollen, Werkzeuge und Präparate.
    Inmitten des zugewucherten Gemachs saß der Nachtalb an seinem Schreibpult. Er grub die Finger in das Pergament und knüllte das Blatt zusammen. Dann stand er unvermittelt auf und ging zum Fenster.
    Hier kam er nicht weiter. Der Verlauf seiner Forschungen erforderte eine Exkursion! Aber jetzt? Raschelnd umschmeichelte das Grün seine Schultern, während er den Raum durchquerte.
    Eine kreisrunde Öffnung im Pflanzenwerk ließ das Fenster frei. Wie ein Auge blickte es hinaus in eine Welt, die unterschiedlicher nicht hätte sein können: In Daugazburg gab es unter freiem Himmel nicht einen Baum oder Strauch. Der Nachtalb legte die Hand auf die Scheibe. Die Facetten, die eben noch das Licht gebündelt und einen blassen Strahl auf sein Pult gelenkt hatten, glätteten sich und wurden klar, bis er schließlich ungehindert hinausschauen konnte.
    Die Sonne sank dem Horizont entgegen. Hier, vom höchsten Stockwerk seines Turms aus, sah er den orangeroten Ball eben noch über den Stadtmauern stehen. Er blinzelte. Die Sonne war den Nachtalben kein Freund. Sie brauchten Licht zum Lesen wie jedes andere Geschöpf, doch die Alben bevorzugten den Mond dafür – oder ein Fenster aus amorphem Glas, das das Sonnenlicht filterte und angenehm dämpfte.
    Die Stadt wirkte ruhig. Bald würden Lampen und Fackeln entzündet werden, wenn das reiche Nachtleben von Daugazburg seinen Anfang nahm. Der Nachtalb hier oben war diesem Treiben entrückt. Kein Laut drang in sein Studierzimmer. Er starrte in die Gassen hinab und nahm in der Ferne Bewegung wahr.
    Der Nachtalb kniff kurz die Augen zusammen, dann nickte er. Er hatte davon gehört: Ein Gnom sollte dort gerichtet werden. Diese Neuigkeit war in den letzten Tagen ein Stadtgespräch gewesen. Vor wenigen Jahrhunderten hätte niemand ein solches Ereignis der Erwähnung wert befunden. Wen kümmerte das Schicksal eines Gnoms?
    Ja, noch vor einem Jahrhundert hätte Geliuna sich nicht die Mühe gemacht, eine so mindere Kreatur in das Labyrinth des Schreckens zu verbannen.
    Es war ein Zeichen dafür, wie schwach die Herrin war. Leuchmadans Rückkehr hatte ihre Herrschaft erschüttert und sein neuerlicher Sturz
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