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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
Autoren: Ursula Steen
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rechnete jeden Moment damit, dass René sagte: „Hübsches Outfit.“ Aber nichts da.
    „Weißt du noch? Heute Nacht?“, fragte er schließlich.
    Sie tat, als erinnere sie sich nicht. Dabei erinnerte sie sich genau.
    „Wir haben getanzt“, sagte sie.
    „Zu Anfang, ja“, sagte er und half ihr weiter auf die Sprünge: „Aber dann haben wir mit den anderen gefeiert, und irgendwann hast du gesagt, dass du Sergeant Meyer gar nicht so übel fandest.“
    „Nie im Leben!“
    „Doch. Du hast gesagt, dass du deine Einheit auch aus der größten Scheiße raushauen würdest, wenn sie in Not wäre.“
    „Das ist ja oberpeinlich. Hab ich sonst noch was angestellt?“
    „Du hast wild getanzt und eine Menge wunder Stellen und blauer Flecke hinterlassen, auch bei mir. Hat trotzdem Spaß gemacht. Obwohl du gesagt hast, dass du lieber einen Csárdás oder eine Mazurka tanzen würdest. Hast du mal einen Volkstanzkurs besucht?“
    „Ich … äh … ja.“
    „Jedenfalls warst du unheimlich gut drauf. Und dann hat der DJ diesen Oldie aufgelegt.“
    „Welchen Oldie?“, fragte sie misstrauisch.
    „Kids in America. Da ging die Post erst richtig ab. Du hast die Hände hochgerissen und wie ein Derwisch um dich geschlagen, vor allem bei dem Lalala des Backgroundchors. Und am Ende wolltest du einen Fandango auf dem Tisch tanzen, mit knallenden Hacken und zwei Gläsern als Kastagnettenersatz. Frank und ich konnten dich gerade noch davon abhalten. Ach, und noch was: Du hast mich geküsst.“
    „Was?“, fragte sie, trat einen Schritt zurück und griff Halt suchend ins Leere.
    „Du hast mich geküsst.“
    „Das hast du nur geträumt.“
    Darauf erwiderte er nichts. Aber seine Augen fragten: Küsst man im Traum auch mit Zunge?
    „Ich muss auf die Toilette, dringend“, sagte sie und flüchtete ins Badezimmer, um sich dort auf das Waschbecken zu stützen und ihr Gesicht im Spiegel zu betrachten. Claudia Brandt, 35 Jahre alt, Account Managerin … und auf Abwegen. Wo war der nächste Siphon, durch den sie abtauchen konnte? Direkt vor ihr.
    Aber weil sie meinte, in Erklärungsnot zu sein, ging sie ins Zimmer zurück, stellte sich vor René hin und sagte mit einer Mischung aus Beschämung und Anklage in der Stimme: „Es tut mir so leid. Offensichtlich war ich völlig betrunken, schamlos betrunken … Ich hab mich unmöglich benommen, wie eine Schnapsdrossel, wie ein Schluckspecht …“ Obwohl sie die Vogelwelt noch nicht ganz durch hatte, brach sie jäh ab und fragte: „Hast du mich etwa zurückgeküsst?“
    „Ja, und das war sehr schön“, sagte er mit einem Lächeln im Gesicht. „Es hat dich auch ruhiger gemacht. Als Frank und ich dich später ins Bett gebracht haben, warst du schon ganz müde.“
    „Ihr … ihr habt mich in einem Moment der Schwäche erwischt.“
    „So schwach hast du gar nicht ausgesehen. Eher wie ein beschwipstes und zufriedenes Schneewittchen.“
    „Na gut, dann hattet ihr beide euren Spaß, und wir beide auch. Allerdings wäre es nett, wenn wir es dabei bewenden ließen. Okay?“
    Sie sahen sich eine Weile an.
    „Okay?“, fragte sie wieder.
    „Okay“, sagte er schließlich, hörte auf zu lächeln und wandte den Blick als Erster ab. Dann ging er zur Tür, drehte sich noch mal um und fragte, die Hand schon auf der Klinke: „Willst du dich nicht anziehen? Die Everglades warten schon.“
    Als Claudia sich nach dem Frühstück mit Frank und René in der Lobby traf, entschuldigte sie sich für ihr gestriges Verhalten und schwor reumütig Besserung. Und weil sie während des Ausflugs nicht gern mit den Männern allein sein wollte, schlug sie vor, noch Maike und Ina dazu einzuladen. Damit waren sie auch einverstanden, genauso wie die beiden Frauen.
    Wenig später quetschten sie sich zu fünft in Claudias und Franks Leihwagen. Letzterer startete den Motor, stellte das Radio an und drehte die Lautstärke voll auf. Zu den Klängen eines flotten Countrysongs verließen sie die Tiefgarage des Hotels und machten sich auf den Weg Richtung Süden. Maike saß auf dem Beifahrersitz, hielt eine Straßenkarte in den Händen und versuchte Frank zu dirigieren. Das war nicht einfach, denn er ließ sie kaum zu Wort kommen und redete mit seinem tief gelegten Humor wieder alles und alle nieder.
    Als sie später über den Tamiami Trail fuhren, stellten sie die Musik aus, drehten die Fensterscheiben herunter und hielten nach Alligatoren und Krokodilen Ausschau. Sie wurden schnell fündig, denn rechts und links des
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