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Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel

Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel

Titel: Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
Autoren: David Halperin
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alles schon tausend Mal gesehen, gesagt, getan habe. Er rasselt seinen Sermon herunter: Mein Sohn, zwischen uns und dir ist ein tiefer Abgrund, sodass, wer zu dir will, es nicht kann und auch du nicht von dort zu uns gelangen kannst …
    Er lügt. Ich kenne diese ach so heiligen alten Männer – gottverdammte Lügner, allesamt. Ich habe schon tiefere Abgründe als diesen in anderthalb Sekunden überquert, als ich noch meine Flugscheibe hatte. Ich würde es auf der Stelle tun, wenn ich nur von diesem verfluchten Pfahl herunterkönnte.
    Ich wende mich ab, so weit es mir möglich ist. Ich warte darauf, dass die drei Männer wiederkommen. Die geben mir wenigstens ihre Zigaretten.
    Währenddessen trinkt meine Mutter ihr Wasser und lächelt gnädig auf mich herab.
     
    Es gibt da etwas, glaube ich, was sie nicht weiß. Keiner von ihnen weiß es. Nicht einmal die drei Männer, die überall waren und alles wissen, aber zu dumm sind, um zu wissen, was sie damit anfangen sollen.
    Meine Arme sind zu Stümpfen verfault. Doch Stümpfe können wieder wachsen.
    Ich werde mich befreien. Dann breche ich aus.
    Ein Gefängnis kann den Körper knebeln, nicht den Geist, nicht den Verstand. Ich werde ausbrechen.
    Ich werde die Tür eintreten, ich werde den Riegel zertrümmern. Ich werde ausbrechen.
    Ich werde mich durch den Zaun schneiden, ich werde die Mauer durchstoßen. Ich werde ausbrechen.

    Ich werde den Abgrund überqueren, ich werde die Grenze aufheben. Ich werde ausbrechen.
    Ich werde meine Hand ausstrecken, ich werde aus der Hölle auferstehen. Ich werde ausbrechen.
    Und unablässig rezitiere ich es immer und immer wieder als meine Beschwörungsformel – um meinen Durst zu lindern, um das Brennen zu kühlen. Um den groben Pfahl zu glätten, der mich durchbohrt.
    Ich werde ausbrechen.
     
    Das Kühlfach – dieser Kasten, in den sie meinen Körper weggeschlossen haben wie eine Laborprobe – steht sperrangelweit offen. Der Riegel und das Schloss sind aufgebrochen. Nichts hält mich mehr.
    Ich steige heraus. Sie wollen mich aufhalten, aber sie können es nicht. Sie fürchten sich zu sehr.
    Sie starren mich an. Sie glotzen. Ihnen wird schwindlig vor Entsetzen. Die Jungen und Mädchen aus der Schule, die Lehrer, mein Vater, die Frau, die er heiraten wird, nachdem meine Mutter nun nicht mehr im Wege steht – sie alle sind blass und sprachlos. Sie müssen mir nicht sagen, was sie so erschreckt. Ich weiß besser als sie, wie sehr man mich verstümmelt hat.
    Als ich spreche, tue ich es nicht im Zorn. Ich möchte sie nicht verletzen und auch nicht ängstigen. Sie fürchten sich auch so schon genug. Stattdessen spreche ich ganz ruhig, mit ernster Trauer.
    Ihr müsst mich ansehen, sage ich zu ihnen. Ihr müsst zuhören. Ihr dürft euch nicht abwenden.
    Ich bin zurückgekommen von den Toten, um es euch allen zu erzählen. Ich werde es euch allen erzählen …

IX.
Deine Zunge kühlen
    (August – September 1967)

KAPITEL 45
    20. August 1967
    Lieber Julian,
    es hat eine Weile gedauert, bis ich dir jetzt schreibe. Glaube mir, ich habe dich nicht vergessen.
    Ich habe damals im Mai an dich gedacht, als wir hörten, dass sich die arabischen Armeen an der Grenze sammelten und drohten, euch ins Meer zu treiben. Ich weiß noch, was du letzten Sommer zu mir gesagt hast. »Es gibt immer Hoffnung. Selbst auf dem Lastwagen, der dich zur Gaskammer bringt, gibt es Hoffnung. Das ist etwas, was man tagtäglich lernt, hier in Israel.«
    (Das hast du doch gesagt, oder? So hatte ich es in meinem Tagebuch notiert.)
    Dann dachte ich an dich, als die Kämpfe begannen, und ein oder zwei Tage später kam ich an einem Zeitungsstand vorbei und sah die Schlagzeile: ARABISCHE ARMEEN IN BLITZ-KRIEG ZERSCHLAGEN – ISRAEL VERKÜNDET SIEG. Und in den folgenden Tagen las ich alles über den Krieg in der New York Times von meinem Vater, und ich sah die Fotos der Soldaten, die an der Klagemauer beteten und weinten, wo neunzehn Jahre lang kein Jude seinen Fuß hinsetzen durfte. Auf all diesen Fotos habe ich dich gesucht, obwohl ich wusste, dass du nicht dort sein würdest.
    Dann sah ich diese Schlagzeile, gegen Ende Juni:
    ARABER UND ISRAELIS BEGEGNEN SICH
FRIEDLICH IM VEREINTEN JERUSALEM
    Tausende Einwohner wechseln zwischen den Sektoren
Das Ende der neunzehnjährigen Blockade
    Sobald ich das sah, schnitt ich den Artikel aus, damit ich ihn dir schicken konnte, sollte ich je deine Adresse erfahren. Ich wollte dich fragen: Warst du an dem Tag dabei, als die
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