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Der Sucher (German Edition)

Der Sucher (German Edition)

Titel: Der Sucher (German Edition)
Autoren: Katja Brandis
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Ich war ganz sicher, dass es auf dieser Insel nichts dergleichen gab, und doch stand es vor mir. Vielleicht war es nur in dieser Nacht hier, für mich, und würde morgen wieder verschwunden sein.
    Langsam ging ich auf das Becken zu. In mir tobte ein heftiger Kampf. War der Geist der Seen mit mir, war dies sein Geschenk? Oder war es eine Falle des hasserfüllten siebten Gottes, hatte er einen Weg aus seiner Verbannung gefunden? Schon einmal hatte mich ein Ruf ins Verderben geführt – wenn ich die Quelle nicht berührt hätte, wäre ich vielleicht immer noch der wagemutige, fröhliche Junge von früher.
    Noch war es nicht zu spät umzukehren!
    Was hast du schon zu verlieren? dachte ich und beugte mich über das Becken. Im ersten Licht des Morgens sah ich mein Gesicht, wie ich es nie zuvor gesehen hatte – wie das eines Fremden. Ich sah einen jungen Mann mit nachdenklichen dunklen Augen. In seinem Gesicht hatten Schmerz und Verzweiflung ihre Spuren hinterlassen. Trotzdem war ich erstaunt, wie jung er war; ich fühlte mich viel älter. Dieser Mann hatte zwar schon viel hinter sich, aber auch noch viel vor sich. Er konnte alles tun, alles sein, was er wollte.
    Doch das eigentlich Wichtige war das, was ich sonst noch sah.
    Es ist schwer zu beschreiben. Wenn man an einen anderen Menschen denkt und in Gedanken seinen Namen nennt, ruft man in sich kein Bild, sondern eher eine Stimmung wach. Gefühle und Sinneseindrücke, die mit diesem Menschen verbunden sind. So in etwa war es auch jetzt. Nur, dass ich mich selbst und meine Zukunft spürte.
    Es war eine gute Zukunft. Ich würde eine tiefe Liebe finden und Zufriedenheit. Ich würde eine Aufgabe haben, die wichtig wäre für mich und meine Welt. Auch harte Zeiten und Kummer sah ich, viele Stürme, die ich noch überstehen müsste. Ich sah auch, dass ich nicht so alt werden würde wie Udiko. Aber dass es viele, sehr viele Menschen und Wesen geben würde, die nach meinem Tod um mich trauerten.
    Was muss man mehr wissen, um weiterleben zu können? Als ich Caris Terada verließ, erfüllten mich Ruhe und Gewissheit.
    Bald darauf verabschiedete ich mich von Uu‘war und meinen neuen Freunden, um endgültig nach Colaris zurückzukehren. Wenn der Me‘ru mich brauchte, würden seine Boten mich dort schon finden.
    Ich durchquerte gerade den äußeren Rand des Yanai-Deltas, als eine Frau in einem Kanu auf mich zusteuerte und mir aufgeregt etwas zurief. Ihrer schwarzen Tracht nach gehörte sie zur Feuer-Gilde, und sie war bewaffnet. Ich war sofort auf der Hut. Kam sie vom Rat oder der Regentin, hatte sie den Auftrag, mich zu beseitigen oder in die Felsenburg zurückzubringen? Oder war in der Gegend eine Gildenfehde zwischen Feuer und Wasser ausgebrochen, würde sie mich angreifen?
    Ungeschickt und hastig paddelte die Frau auf mich zu, während ich im Wasser wartete, bereit, jederzeit abzutauchen.
    »Im Dorf hat man mir gesagt, Ihr seid Sucher – ich hoffe, das stimmt«, sagte die Frau atemlos und streifte sich eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. »Mir ist mein blödes Ersatzschwert über Bord gefallen ... Es ist schon zehn Winter alt, aber ich hänge trotzdem dran ... Ich weiß ja nicht, was ihr Fischköpfe normalerweise als Finderlohn nehmt, ich hoffe es ist irgendwie bezahlbar ...«
    Ich musste lachen – und plötzlich fühlte ich, dass die Freude zurück war. Meine Freude am Leben und die Lust auf Neues und Unbekanntes, ohne die ich mich gefühlt hatte wie ein Fisch ohne Flossen. Die Feuerfrau schaute mich verblüfft an, fragte sich wohl, was es zu lachen gab. Mühsam versuchte ich, mich zusammenzureißen.
    »Ja, ich bin Sucher«, sagte ich, immer noch über das ganze Gesicht grinsend. »Das mit dem Schwert ist wirklich Pech. Sagt, wie sieht es aus, und an welcher Stelle ist es genau passiert?«

Nachwort
    Es hat gut getan, all das aufzuschreiben, was geschehen ist und was mein Leben geformt hat. Nun möchte ich nur noch berichten, was aus den Menschen und Wesen geworden ist, von denen ich in diesem Buch erzählt habe.
    Udiko wurde so alt wie die Seen, so alt wie die Bäume. Er starb erst vor kurzem. Als ich es erfuhr, war ich gerade auf einer Suche in Alaak. Ich kam sofort zurück, um selbst seine Totenrede zu halten. Obwohl Udiko weder Kinder noch Familie hatte, war die Zahl der Trauernden groß – er hatte unzähligen Menschen geholfen. Bei der Zeremonie am Heiligen See bei Xanthu erfuhr ich, wie oft er mit Stolz von mir gesprochen hatte. Besonders die Geschichte, wie ich
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