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Der Sucher (German Edition)

Der Sucher (German Edition)

Titel: Der Sucher (German Edition)
Autoren: Katja Brandis
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Wahrscheinlich irgend so ein Zeug der Erd-Gilde. Aber ich nickte trotzdem.
    Als wir im Hauptraum mit den Tellern auf den Knien auf dem Boden saßen, stellte ich fest, dass es köstlich schmeckte. Wahrscheinlich musste ich aufpassen, dass ich während dieser Lehrzeit nicht rund wie eine Kugel wurde.
    Schweigend aßen wir. Dann setzte Udiko seinen Teller ab und blickte mich streng an. Mir blieb fast die Blätterpaste im Hals stecken. Kam jetzt die Quittung für meine Blödheit? Aber er sagte nur: »Ich verstehe natürlich, warum du‘s gemacht hast.«
    »Vielleicht solltet Ihr mir einfach diejenigen Besucher überlassen, die ein ganz normales Anliegen haben«, wagte ich vorzuschlagen. »Damit ich ein bisschen Übung bekomme.«
    »Dafür ist es noch zu früh. Erst ist es höchste Zeit, dass wir deine Ausbildung beginnen«, sagte Udiko. »Deine erste Lektion ist: Jede Suche hat eine verborgene Wahrheit, die unter der Oberfläche liegt. Sie ist es, die du erkennen musst, sonst hat deine Arbeit keinen Sinn.« Er fasste hinter sich und holte ein schwarzes, aus dünnen Terlizzi-Algen gewobenes Stück Stoff hervor. »So, jetzt zu deiner ersten Übung. Bind dir das um die Augen.«
    »Moment mal – ich soll Sehen lernen, indem ich mir die Augen verbinde?!«
    »Du stellst zu viele Fragen, Junge«, knurrte der Große Udiko, und ich tat, was er befohlen hatte. Mir war ein bisschen mulmig zumute. Jetzt war es so finster um mich herum wie bei Neumond an Land.
    »So«, sagte Udiko. »Das behältst du jetzt zwei Wochen lang an. Tag und Nacht. Das wird dein Gehör, deinen Geruch- und Tastsinn schulen.«
    Ich erschrak. Zwei Wochen! Das war eine verdammt lange Zeit, um in Dunkelheit zu leben! Wollte er mich etwa so in den See rausschicken ... Wie, beim Brackwasser, sollte ich mich da orientieren?
    »Mach dir keine Sorgen – dazu hast du später noch genug Zeit«, brummte Udiko. »Atme jetzt mal ganz langsam und bewusst. Fühlst du deinen Herzschlag, merkst du, wie die Luft durch deine Lungen hinaus- und hineinströmt?«
    »Ja.« Ich merkte, wie ich ruhiger wurde, mich entspannte.
    »Gut. Dann konzentrier dich jetzt auf deine Sinne, darauf, was du von deiner Umgebung wahrnimmst.«
    Langsam drehte ich den Kopf. Der würzige Viskariengeruch hing noch in der Luft, aber es roch auch nach alten Schriftrollen und dem Schlamm, den ich unfreiwillig von meiner Expedition in den Nachbarsee mitgebracht hatte. Es war sehr still, und ich konnte Udikos Atem hören, die Geräusche, als er aufstand, das Klappern, als er unsere hölzernen Essschalen ineinander stellte. Ich spürte den leichten Luftzug, als der Alte an mir vorbeiging, und mir wurde bewusst, wie seidig weich der Buntalgenteppich unter meinen Füßen sich anfühlte. Er war immer ein wenig kühl auf der Haut, weil die Algen unsere Luft rein hielten und auffrischten.
    »Was ist, hilfst du mir nicht beim Abräumen?«, knurrte Udiko.
    »Klar«, sagte ich, griff nach den Schalen – und begann mein Leben als Blinder auf Zeit, indem ich die Finger in die Blättermousse-Schüssel tunkte.
    * * *
     
    In den Stunden nach dem Aufgang des dritten Monds war Mi‘raela oft in den Höhlen und Gängen der Burg unterwegs, tief unten, dort, wohin sich höchstens Halbmenschen und besonders mutige menschliche Diener wagten.
    Manchmal schaffte sie es auf diesen Ausflügen, einen Nachtwissler zu reißen, der sich in die Burg verirrt hatte. Die kleinen, schwarzfelligen Nachtwissler konnten sich auf ihren vier dünnen Pfoten so rasch bewegen wie kaum ein anderes Tier, und sie wussten, wie man sich verbarg.
    Oft verrieten sie sich nur durch ihr ständiges Quietschen, das so hoch war, dass Menschen es kaum hören konnten. Ihnen aufzulauern und sie zu überlisten, war genau die richtige Herausforderung für Mi‘raela. Im heißen Rausch der Jagd und wenn sie das salzige Blut auf der Zunge spürte, fühlte sie sich wenigstens ein paar Momente lang lebendig ...
    Sie schlich durch eine Höhle, in der sich wie ein schwarzer Spiegel einer der Speicherseen ausbreitete. Es war kühl und feucht hier und roch nach nassem Stein und Algen. Ab und zu fielen Wassertropfen. Mi‘raela mochte diesen Ort nicht, aber sie musste hier durch, um in die hinteren Winkel des Südtrakts vorzudringen. Geschickt balancierte sie einen schmalen, glitschigen Sims entlang, eine Pfotenhand vor der anderen. Doch heute war irgendetwas anders in ihrem Revier. Mi‘raelas Schnurrhaare tasteten vor; wachsam hob sie den Kopf, und ihre Schwanzspitze
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