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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik
Autoren: Ayn Rand
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Gewalt auf kluge Gewalt trifft.“
    „Sie haben es bereits gelernt“, sagte Galt. „Ist das nicht genau die Lektion, die du ihnen seit zwölf Jahren erteilst?“
    „Ich? Ja. Aber das Semester ist vorüber. Heute Abend habe ich meinen letzten Gewaltakt vollbracht. Er war mein Lohn für die zwölf Jahre. Meine Männer haben begonnen, sich Häuser im Tal zu bauen. Mein Schiff liegt an einem Ort versteckt, an dem niemand es finden wird, bis ich es für einen weit zivilisierteren Zweck werde verkaufen können. Ich lasse es zu einem transatlantischen Passagierdampfer umbauen – und zwar zu einem hervorragenden, wenn auch von bescheidener Größe. Und was mich betrifft, ich werde mich auf das Erteilen anderer Lektionen vorbereiten. Ich glaube, ich muss meine Kenntnisse über die Werke des ersten Lehrers unseres Lehrers wieder auffrischen.“
    Rearden lachte leise. „Ich wäre gerne dabei, wenn du deine erste Philosophievorlesung in einem Hörsaal hältst“, sagte er. „Ich würde gerne sehen, ob es deinen Studenten gelingt, gedanklich bei der Sache zu bleiben, und wie du die vom Thema abweichenden Fragen beantworten wirst, die sie dir werden stellen wollen, was ich ihnen nicht verdenken könnte.“
    „Ich werde ihnen erklären, dass sie die Antworten darauf im Lehrstoff finden.“
    Unter ihnen auf der Erde waren kaum Lichter zu sehen. Das Land war ein leeres schwarzes Tuch mit einigen wenigen unsteten Lichtern in den Fenstern irgendwelcher Regierungsgebäude und flackerndem Kerzenschein in den Fenstern von Häusern, deren Bewohner nicht an morgen dachten. Die Landbevölkerung hatte sich zumeist längst wieder an das Leben früherer Zeitalter gewöhnt, in denen künstliches Licht ein maßloser Luxus gewesen war und das Tagesgeschehen mit dem Sonnenuntergang ein Ende gehabt hatte. Die Städte wirkten wie verstreute Pfützen, die eine Flut hinterlassen hatte; sie verfügten noch über einige kostbare Tropfen Elektrizität, trockneten aber in einer Wüste von Rationierungen, Quoten, Kontrollen und Stromsparvorschriften aus.
    Doch als die Stadt, von der einst die Flut ausgegangen war, New York, in einiger Entfernung vor ihnen auftauchte, schickte sie ihre Strahlen nach wie vor in den Himmel; noch trotzte sie der uranfänglichen Dunkelheit, als würde sie mit äußerster Kraft einen letzten Hilferuf aussenden und dem Flugzeug, das den Himmel über ihr durchquerte, ihre Arme entgegenstrecken. Unwillkürlich richteten sie sich in ihren Sitzen auf, als erwiesen sie der einst großartigen Stadt an ihrem Totenbett die letzte Ehre.
    Sie blickten nach unten und sahen ihre letzten Zuckungen: Die Lichter der Autos schossen durch die Straßen wie Tiere, die in einem Labyrinth gefangen waren und fieberhaft den Ausgang suchten; auf den Brücken stauten sich die Fahrzeuge, die Brückenzufahrtsstraßen glichen mit Scheinwerfern verstopften Adern, glitzernden Nadelöhren, in denen jede Bewegung zum Stillstand kam, und die verzweifelten Schreie der Sirenen waren noch auf der Höhe des Flugzeugs vage vernehmbar. Die Meldung, dass die Hauptschlagader des Kontinents durchtrennt worden war, hatte sich inzwischen in der ganzen Stadt verbreitet. Die Menschen verließen ihre Posten, versuchten panikartig aus New York zu entkommen und suchten nach Fluchtwegen, obgleich sämtliche Straßen abgeschnitten waren und es kein Entrinnen mehr gab.
    Das Flugzeug flog eben über die Wolkenkratzer hinweg, als die Stadt urplötzlich vom Erdboden verschwand, als hätte die Erde sich aufgetan und sie verschluckt. Es dauerte einen Augenblick, ehe sie begriffen, dass die Panik auch die Kraftwerke erfasst hatte – und die Lichter von New York erloschen waren.
    Dagny stockte der Atem. „Schau nicht hinunter!“, befahl Galt streng.
    Sie hob den Blick und sah ihm ins Gesicht. Es wirkte so besonnen, wie sie es bei ihm gewohnt war, wenn er Tatsachen ins Auge sah.
    Sie erinnerte sich an eine Begebenheit, die Francisco ihr erzählt hatte: „Er hatte seine Stelle bei der Twentieth Century gekündigt und lebte in einer Dachkammer in einer Armensiedlung. Er trat ans Fenster und zeigte auf die Wolkenkratzer der Stadt. Er sagte, wir müssten die Lichter der Welt löschen, und wenn eines Tages die Lichter New Yorks vor unseren Augen ausgingen, wüssten wir, dass unsere Aufgabe vollbracht sei.“
    Sie dachte daran, als sie beobachtete, wie die drei – John Galt, Francisco d’Anconia und Ragnar Danneskjöld – einander einen Augenblick lang schweigend ansahen.
    Sie
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