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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik
Autoren: Ayn Rand
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Fahrplan des Comet wieder aufzunehmen. In den leeren Waggons saß nur eine Handvoll Passagiere; die Menschen wussten nicht, wohin und wozu sie noch reisen sollten. Er hatte nicht um ihretwillen gekämpft; er konnte nicht sagen, welchen Beweggrund er gehabt hatte. Die Antwort lieferten ihm zwei Sätze, die ihm im Kopf herumgingen und ihn mit der Unbestimmtheit eines Gebets und der Dringlichkeit einer absoluten Not antrieben. Der eine lautete: Von Ozean zu Ozean, für immer – und der andere war: Gib es nicht auf! …
    Eine Stunde verging, ehe der Zugführer zusammen mit dem verdrießlich dreinblickenden Beimann zurückkehrte.
    „Mr. Willers“, sagte der Beimann langsam, „in der Sektionsleitstelle geht niemand ans Telefon.“
    Eddie Willers richtete sich in seinem Sitz auf. Sein Verstand weigerte sich zu glauben, was er gehört hatte, und doch wusste er auf einmal, dass er aus einem unerklärlichen Grund nichts anderes erwartet hatte. „Das ist unmöglich!“, sagte er leise. Der Beimann schaute ihn regungslos an. „Das Streckentelefon muss defekt sein.“
    „Nein, Mr. Willers. Es ist nicht defekt. Die Verbindung war in Ordnung, die Sektionsleitstelle nicht. Ich meine, es war niemand da, um den Anruf entgegenzunehmen, oder zumindest niemand, der sich die Mühe machen wollte.“
    „Aber Sie wissen, dass das nicht sein kann!“
    Der Beimann zuckte mit den Schultern. Heutzutage hielt man kein Desaster mehr für unmöglich.
    Eddie Willers sprang auf. „Laufen Sie den gesamten Zug ab“, befahl er dem Zugführer. „Klopfen Sie an die Türen sämtlicher Abteile – der besetzten natürlich –, und erkundigen Sie sich, ob ein Elektroingenieur an Bord ist.“
    „Ja, Sir.“
    Eddie wusste, dass sie ahnten, was er selbst ahnte: dass sie unter den lethargischen, erloschenen Gesichtern, die sie gesehen hatten, keinen Elektroingenieur finden würden. „Kommen Sie mit“, forderte er den Beimann auf.
    Sie stiegen zusammen in die Lokomotive. Der grauhaarige Lokführer hockte auf seinem Sitz und starrte hinaus auf die Kakteen. Der Scheinwerfer der Lokomotive war noch eingeschaltet und warf seinen Strahl starr und schnurgerade in die Nacht hinaus, wo er auf nichts außer der Reihe immer schwächer erkennbarer Eisenbahnschwellen traf.
    „Lassen Sie uns versuchen, den Defekt zu finden“, sagte Eddie halb im Befehlston, halb beschwörend und zog seinen Mantel aus. „Versuchen wir es weiter.“
    „Ja, Sir“, sagte der Lokführer, weder unwillig noch hoffnungsvoll.
    Der Lokführer war am Ende seines dürftigen Wissens; er hatte jede ihm erdenkliche Störungsursache ausgeschlossen. Er machte sich auf allen Vieren am Räderwerk zu schaffen, schraubte Teile auseinander und wieder zusammen, nahm Komponenten heraus und setzte sie wieder ein, demontierte wahllos die Motoren – wie ein Kind, das eine Uhr zerlegt, doch ohne dessen Überzeugung, dabei etwas in Erfahrung bringen zu können.
    Der Beimann lehnte sich unterdessen aus dem Fenster des Führerstands, blickte hinaus in die schwarze Stille und zitterte, als fröre er in der kälter werdenden Nachtluft.
    „Seien Sie unbesorgt“, sagte Eddie Willers mit fester Stimme. „Wir dürfen nichts unversucht lassen, aber wenn wir nicht weiterkommen, werden sie uns früher oder später Hilfe schicken. Sie lassen einen Zug nicht einfach auf freier Strecke im Stich.“
    „Früher hätten sie das zumindest nicht getan“, sagte der Beimann.
    Hin und wieder hob der Lokführer sein ölverschmiertes Gesicht und blickte zu Eddie auf, dessen Gesicht und Hemd ebenso verschmiert waren. „Was hat es für einen Zweck, Mr. Willers?“, fragte er.
    „Wir dürfen nicht aufgeben!“, entgegnete Eddie scharf. Unbewusst spürte er, dass er dabei mehr im Sinn hatte als den Zug … und mehr als die Eisenbahn.
    Eddie Willers kroch durch die drei Motorblöcke und wieder zurück in den Führerstand. Seine Hände bluteten, sein Hemd klebte ihm am Rücken. Er versuchte mit Gewalt, sich all sein Wissen über Lokomotiven ins Gedächtnis zu rufen, alles, was er je am College gelernt oder zuvor aufgeschnappt hatte, in jenen Tagen, als die Vorsteher des Bahnhofs in Rockdale ihn immer wieder von den Leitersprossen ihrer schwerfälligen Rangierloks hatten jagen müssen. Die Brocken ergaben kein Ganzes. Sein Kopf war wie blockiert und verschlossen. Er wusste, dass er sich mit Motoren nicht auskannte und ihm das entsprechende Fachwissen mangelte, er wusste auch, dass es jetzt um Leben oder Tod ging und er
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