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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer
Autoren: Henning Boëtius
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wieder ab. Es war völlig windstill. Der Qualm aus dem Schornstein war ein schräger, weißer Balken, der lange seine Form bewahrte. Es hieß, Marconi sei nicht an Bord. Jedenfalls sah ihn niemand von uns Männern, die das Auslaufen des stolzen Schiffes beobachteten, weder an der Reling noch auf der Brücke, noch im Ruderhaus.«
    Er nahm seine Arbeit wieder auf. Auf weitere Fragen meinerseits reagierte er nicht. Ein anderer Fischer jedoch, der in der Nähe dabei war, die Decksplanken seines Bootes mit einem Besen zu säubern, hatte unser Gespräch mit angehört. Er wandte sich mir zu. Sein Gesicht passte nicht zu seinem Beruf. Er sah eher aus wie ein Lehrer oder Professor. »Komm her, mein Freund«, rief er. Ich ging zu seinem Schiff, und auch er lud mich ein, an Bord zu kommen. »Ich heiße Franco Celli«, sagte er und reichte mir die Hand. »Du interessierst dich für Marconi? Als dieser seltsame Mann damals hier mit seiner Yacht anlegte, war alles noch anders. Der Hafen war keine Freizeitanlage. Die Fischer, die beim Festmachen der Yacht halfen, wirkten vermutlich neugierig und feindselig zugleich. Marconi befuhr damals mit seinem Schiff die lange Küste des Landes, um von Bord und zuweilen von Land aus seine Experimente mit drahtloser Telegraphie zu machen. Er spürte sofort mit der ihm eigenen, an Hypochondrie grenzenden Empfindlichkeit, dass die Einheimischen ihn für einen Eindringling hielten. Doch das störte ihn wenig. Er hatte andere Freunde wie zum Beispiel den Dichter D€™Annunzio. Der nannte Marconis Yacht übrigens €›Das leuchtende Schiff€‹. Und in der Tat, es war ein schönes Schiff. Sein richtiger Name lautete €›Elettra€‹. Die €›Elektrische€‹.«
    Er nahm seine Brille ab, begann sie zu putzen und sah mich dabei aus großen, grauen Augen an. »Marconi ahnte vielleicht, als er damals hier war, dass seine elektromagnetischen Wellen vom verwinkelten Inneren der Stadt verschluckt werden würden. Deshalb bat er um die Erlaubnis, seine Experimente auf dem Capo di Vento in dem Turm dort durchzuführen.«
    Der Fischer deutete die Küste entlang nach Süden auf die graue Steinmasse eines gedrungenen Turmes. »Er baute einen Sender in seinem Inneren auf und installierte eine Antenne auf der Terrasse des Turms. Dann erhöhte er die Leistung seines Apparates immer mehr, bis zu einem Punkt, wo ein Kurzschluss drohte. Doch als es ihm immer noch nicht gelang, eine Botschaft, und sei es auch nur ein rhythmisches Knacken, durch den Ąther zu übertragen, reiste er schließlich mit dem Wissen ab, dass es Grenzen gibt für Wunder, die von noch größeren Wundern errichtet werden. Das sind Vermutungen. Alles kann auch anders gewesen sein. Fest steht jedenfalls, dass ihn irgendein Geheimnis später veranlasste, in unsere Stadt zurückzukehren. Und es ist möglich, dass er sie auch später noch inkognito besuchte.«
    Es hatte zu regnen aufgehört, als ich durch das Westtor in die weiße Stadt hinaufging. Die Gassen waren leer, bis auf die zahllosen jungen Katzen, die eng beieinander lagen, wo auch immer sich ihnen ein trockenes Fleckchen bot, und meine Schritte aus starren, grünen Augenpaaren verfolgten. Je höher ich stieg, je enger die Gassen wurden, desto schärfer wurde der Wind. ܜberall verriegelte Türen, verschlossene Läden. Wie ausgestorben wirkten die Häuser, als seien sie vor langer Zeit verlassen worden. Dabei wusste ich, etliche von ihnen waren bewohnt. Ihre Besitzer hockten jetzt in dunklen Küchen am Ofen oder schliefen wie tot in ihren Betten. Es war bald Winter. Die grauen Tage brachen an, in denen es sich nicht lohnte, anderen Tätigkeiten nachzugehen als Essen machen, schlafen oder träumen.
    Die letzte Gasse, deren schmale ausgetretene Treppen ich emporgestiegen war, mündete auf einen kleinen Platz, der von einer weißgekalkten Mauer umgeben war. Wie eine Kommandobrücke oder ein Peildeck lag er hoch über dem Meer. Auf einer Steinbank saß eine Frau. Auch sie schien uralt zu sein. Doch ihr von Runzeln bedecktes Gesicht wirkte immer noch schön. Ihre Haare waren zu einem schweren Knoten geschlungen. Ihre Augen waren azurfarben. Sie starrte unverwandt das Meer an, und mir kam es vor, als ob es seine blaue Farbe an diese Augen verloren hatte. Ich sprach sie an. Sie reagierte nicht. Sie sah durch mich hindurch, als sei sie blind und taub. Ihre steinerne Unbeweglichkeit ließ mich auf den absurden Gedanken kommen, sie sei tot. Aber ich sah, dass ihre Brust sich leicht hob und
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