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Der Sprung ins Jenseits

Der Sprung ins Jenseits

Titel: Der Sprung ins Jenseits
Autoren: Clark Darlton
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früher Nachmittag, und wir würden noch zwei oder drei Stunden benötigen, bis wir am Ziel waren. Dann erst wurde es wieder kühler.
    Ich begann mich zu fragen, wie ich es Yü erzählen sollte. Vielleicht würde er mich auslachen und meinen, ich hätte mir alles nur eingebildet. Nein, dachte ich dann, Yü würde nicht lachen. Er hatte es mir ja prophezeit. Ich war jenem Augenblick begegnet, der die schlummernde Erinnerung der Seele weckte …
    Hinter mir hörte ich das Anspringen des Motors. Ich sah auf die Uhr. Zehn Minuten waren vergangen, und ich hatte kaum fünfhundert Meter zurückgelegt. Als der Jeep neben mir hielt, stieg ich wortlos ein.
    Der kurze Spaziergang hatte mir gutgetan. Ich streckte die Beine aus und schloß die Augen. Der Weg wurde wirklich besser, und bald schläferten mich die gleichmäßigen Schaukelbewegungen und das Brummen des Motors ein.
    »Gleich sind wir da! Man kann das Kloster schon sehen.«
    Die Stimme des Fahrers weckte mich. Ich folgte der Richtung seiner Hand, mit der er auf die nahen Berge deutete. Der Weg, deutlich erkennbar, gabelte sich noch vor den Hügeln. Links führte er am Rand des Gebirges vorbei weiter und verlor sich im Gewirr der Felsblöcke. Die rechte Abzweigung hingegen schlängelte sich in ein enges Seitental hinein und stieg dann steil bergan, um auf einem kleinen Plateau zu enden.
    Das Kloster stand mitten auf diesem Plateau, und zum erstenmal sah ich wieder so etwas wie Vegetation. Die Mönche mußten das Wasser von den Bergen herabgeleitet und die Erde aus dem Tal heraufgeschleppt haben, sonst hätte es auf dem felsigen Hochplateau keine Gärten geben können.
    »Noch eine halbe Stunde«, sagte der Japaner.
    Ich nickte stumm. Mit dem Feldstecher versuchte ich, Einzelheiten zu erkennen. Das Plateau war eigentlich ein Vorberg des Gebirges. Die Mauern des Klosters hatten die gleiche Farbe wie die Felsen, und ich wunderte mich, daß wir es überhaupt entdeckt hatten. Der Weg führte hinauf bis zum Hauptportal, das durch schwere Balken gesichert war.
    Der Weg wurde wieder schlechter, und der Wagen schaukelte derart, daß weitere Beobachtungen durch das Fernglas unmöglich wurden. Ich lehnte mich in die harten Polster zurück und versuchte, die steigende Erregung zu unterdrücken. Ich hatte zu lange auf diesen Augenblick warten müssen, auf das Wiedersehen mit meinem Freund, der in der Abgeschiedenheit der majestätischen Berge die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens zu finden hoffte.
    Fünf Jahre lang war ich ohne Post geblieben. Später erklärte er mir in einem Brief, daß diese absolute Isolierung für sein Studium unerläßlich gewesen war. Zugleich wiederholte er seine Einladung, ihn zu besuchen.
    Und nun war es endlich soweit.
    Der Weg wurde noch steiler. Rechts stiegen die Felswände fast senkrecht empor, während fast unmittelbar neben den linken Rädern des Jeeps der Abgrund klaffte. Mein Fahrer fuhr mit einer traumwandlerischen Sicherheit, die mich immer wieder verblüffte.
    Dann erreichten wir das Plateau.
    Nun sah ich das Kloster unmittelbar vor mir liegen; es sah geduckt und breit ausladend aus. Die mächtigen Balken des Portals waren in Mannshöhe durch eine winzige Öffnung unterbrochen. Ich konnte weder ein Schloß noch die Angeln der übergroßen Tür entdecken.
    Der Jeep hielt an. Ich sprang auf den harten, felsigen Boden und ging zum Portal des Klosters. Weiter oben erkannte ich in der unregelmäßig geformten Mauer schmale Fensteröffnungen. Ob meine Ankunft beobachtet wurde? fragte ich mich.
    Ich mußte mich ein wenig bücken, um durch die rechteckige Öffnung sehen zu können. Ein wenig enttäuscht registrierte ich den kahlen Platz, den staubbedeckten Boden, den Brunnen in der Mitte und die Mauern aus behauenen Felsbrocken. Eine schmale Pforte führte in einen Garten.
    Eine vermummte Gestalt näherte sich dem Brunnen und ließ den Holzeimer, der an einer Kette befestigt war, in die Tiefe rasseln. Ich wartete nicht, bis er die Winde zu drehen begann, sondern zog an der Glockenschnur, die neben dem Portal baumelte. Ein weithin hörbarer Ton erklang. Der Mönch, der Wasser holen wollte, drehte sich um und starrte in meine Richtung. Dann setzte er sich langsam in Bewegung und näherte sich dem Tor. Unsere Blicke begegneten sich, als er noch wenige Meter entfernt war.
    Er hatte ein abgeklärtes und gütiges Gesicht. Trotz seiner weißen Haare konnte ich kaum Falten entdecken, und seine Augen waren viel älter, als die glatte Haut im ersten
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