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Der Sprung ins Jenseits

Der Sprung ins Jenseits

Titel: Der Sprung ins Jenseits
Autoren: Clark Darlton
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Ankunft in Tibet erfahren haben, denn zuletzt hatte ich ihm von Deutschland aus geschrieben und nur die Möglichkeit angedeutet, daß ich vielleicht kommen könne. Es war reiner Zufall gewesen, daß mich mein Forschungsauftrag in die Nähe des Klosters geführt hatte.
    Ich klopfte gegen das dicke, alte Holz der Tür.
    Obwohl ich nicht glaubte, daß der Ton das Zimmer dahinter erreichen konnte, wartete ich. Es war kühl, und fast fror ich schon wieder und sehnte mich nach der hellen, warmen Sonne zurück, die nur wenige Meter entfernt die Klostermauern beschien.
    Da bewegte sich die kunstvoll geschnitzte Klinke, und Sekunden später blickte ich in das um Jahre gealterte Gesicht meines Freundes Yü Fang.
    »Mein Wissen ist stärker gewesen als mein Glaube«, sagte er und streckte mir seine Hand entgegen, die ich nur zögernd ergriff. »Ich wußte, daß du zu mir unterwegs warst. Deine Gedanken eilten dir voraus. Dein Herz, mein Freund, ist voller Fragen, auf die dein Geist keine Antwort findet. Du tust recht daran, mich aufzusuchen, Alan. Du hast nicht vergessen, welche Probleme uns damals bewegten. Ich habe einige von ihnen entschleiern können, und soweit es mir erlaubt ist, werde ich dir darüber Bericht erstatten.« Er zog mich in den Raum und schloß die Tür. »Komm herein und setz dich. Du wirst müde sein nach der langen Fahrt. Nebenan findest du Wasser, mit dem du dich erfrischen kannst. Mein Onkel hat die Nachbarzelle freigehalten.«
    Ich setzte mich auf das einfache, schmale Bett, das in der einen Ecke des Zimmers stand. Mit einem Blick streifte ich den Raum, in dem Yü wahrscheinlich schon seit vielen Jahren lebte. Trotz seiner spärlichen Einrichtung wirkte er nicht wie eine Klosterzelle, sondern mehr wie ein Studierzimmer. Durch die beiden schmalen Fenster war die felsige Landschaft zu sehen. Die steinige Ebene stieg an, bis sie vor den senkrechten Wänden des Gebirges jäh endete. Es sah so aus, als sei hier die Welt zu Ende. Vor den Fenstern stand ein breiter Holztisch, der über und über mit Büchern und Papieren bedeckt war. Dem Bett gegenüber stand ein einfacher Schrank, und an der Wand hing eine holzgeschnitzte Buddhafigur.
    »Das ist alles, was ich zum Leben brauche«, sagte Yü und setzte sich auf den einzigen Stuhl. Er drehte ihn so, daß er mich ansehen konnte. »Du wirst doch hierbleiben, Alan …?«
    Das war eine ziemlich direkte Frage, und es tat mir leid, daß ich ihn enttäuschen mußte.
    »Ich will deine Ruhe nicht stören, Yü. Es sind nur einige Fragen, die ich auf dem Herzen habe. Es sind Fragen, auf die nur du mir eine Antwort geben kannst – wenn überhaupt ein Mensch. Wenn das geschehen ist, werde ich wieder gehen.«
    Er reagierte ganz anders, als ich es erwartete.
    »Freust du dich über unser Wiedersehen?« fragte er.
    Ich nickte.
    »Natürlich freue ich mich, Yü. Aber ich weiß auch, wie wichtig die absolute Ruhe für deine Studien ist. Ich würde dich nur stören und ablenken. Du sagtest mir einmal, daß gerade Ruhe und Einsamkeit die Voraussetzungen dazu seien, das Rätsel des Lebens an sich zu lösen. Und du willst es doch lösen, nicht wahr?«
    »Ich habe es gelöst«, sagte er gelassen.
    Ich starrte meinen Freund entgeistert an. Wie sehr hatte er sich in diesen zehn Jahren verändert. Er mußte jetzt fünfunddreißig sein, aber er sah älter aus. In den klugen Augen war ein verhaltenes Leuchten, das eine unwiderstehliche Kraft ausstrahlte. Aus dem damals westlich gekleideten jungen Mann war ein asketischer Weiser geworden. Die grobgewebte Kutte hing ihm lose um den mageren Körper, und graue Strähnen durchzogen sein dichtes Haar.
    »Du hast die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gefunden?« fragte ich fassungslos und wagte kaum zu atmen. »Das ist noch nie einem Menschen gelungen, Yü. Ich kann nicht glauben …«
    Ich verstummte, als ich in seine wissenden Augen sah.
    Er lächelte.
    »Das Bad nebenan ist fertig. Erfrische dich, dann reden wir weiter. Wir haben noch sehr viel Zeit, Alan. Wir haben viel mehr Zeit, als du dir jemals vorstellen könntest.«
    Etwas in mir trieb mich dazu, gegen die Bevormundung zu protestieren. Ich kam aus der Zivilisation, und ich würde in sie zurückkehren müssen. Auf mich warteten gewaltige Aufgaben, und mein Institut hatte die Reise finanziert. Ich trug eine Verantwortung. Die konnte mir auch Yü Fang nicht abnehmen, selbst dann nicht, wenn er die Antworten auf einige philosophische Fragen gefunden hatte.
    »Ich habe nur
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