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Der Sommerfaenger

Titel: Der Sommerfaenger
Autoren: Monika Feth
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Sensibilität nicht nur ein Wesensmerkmal stiller, verhaltener Menschen ist. Frau Stein mit ihrem nie erlahmenden Engagement und ihrem Verständnis für die Sorgen und Nöte demenzkranker Menschen war für die Bewohner des St . Marien ein wahrer Segen.
    »Ich freu mich so, dass Sie hier sind«, sagte ich zu Frau Sternberg.
    »Und ich erst, Kindchen.« Sie strahlte mich an. »Ich wollte unbedingt Ihr schönes Haus sehen. Und Ihre Freunde. Vor allem jedoch Ihren Liebsten.« Sie schaute sich mit verschwörerischer Miene um.
    »Ist es der da?«
    Sie hatte auf Mike gezeigt, der ihr zwinkernd zuwinkte.
    »Nein. Das ist Mike. Er wohnt auch hier.«
    An Frau Sternbergs Miene konnte ich erkennen, dass sie nicht verstand. Wenn ein Mädchen und ein junger Mann zusammenwohnten, dann waren sie in der Welt, in der Frau Sternberg groß geworden war, ein Paar. Wohngemeinschaften waren die Erfindung einer Zeit, zu der sie mehr und mehr den Zugang verlor.
    Mit einem zaghaften Lächeln zog sie sich wieder in sich selbst zurück.
    Die Gäste aßen und tranken. Sie nahmen im Nu das gesamte Anwesen in Besitz. Im Garten, im Hof und in sämtlichen Zimmern suchten und fanden sich Grüppchen und verteilten sich neu.
    Ab und zu hörte ich Mina lachen. Die Therapie tat ihr gut. Ich hatte sie selten so entspannt erlebt. Sie verstand sich mit Ilka und Mike und fand allmählich sogar Zugang zu den Katzen, vor denen sie anfangs zurückgeschreckt war.
    Alles war, wie es sein sollte.
    Nur Luke fehlte.
    Ich wusste nicht, wann ich ihn wiedersehen würde. Das wusste ich nie. Ich wusste nicht, wo er gerade war und was er tat, wusste nicht, wer seine Freunde waren und kannte seine Gewohnheiten nicht.
    Was wusste ich überhaupt über ihn?
    Oder über seine Gefühle?
    Was wusste ich über meine?
    Ich war hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht und Enttäuschung, ein Zustand, der mich fertigmachte, mehr, als ich mir eingestehen mochte.
    »Hey«, flüsterte Mike mir ins Ohr.
    Ich hatte nicht bemerkt, dass er hinter mich getreten war, und zuckte zusammen.
    »Ist er das wert?«
    Ich fing einen verstohlenen Blick meiner Mutter auf und fragte mich, ob sie sich schon wieder Sorgen um mich machte. Sie war doch mit einem Psychologen zusammen. Wieso gelang es Tilo nicht, ihr die mütterliche Fixierung auf mich auszureden?
    Und warum spähte Mina so seltsam zu mir herüber?
    Anscheinend sahen mir alle an, wie es um mich stand. Mein Gesicht war ein offenes Buch und jeder blätterte nach Belieben darin.
    »Ja. Ist er.«
    Ich schnappte mir mein Handy und wandte mich ab.
    Lukes Nummer war direkt unter Merles gespeichert. An zweiter Stelle. Vor Ilka, Mike und Mina, vor meiner Mutter, Tilo und meiner Großmutter.
    Hi, hier spricht Lukas Tadikken. Ich bin unterwegs. Hinterlassen Sie mir doch eine Nachricht, dann …
    Er war unterwegs. Wohin? Mit wem? Warum?
    Ich hatte Lust, es unseren Katzen nachzutun, die sich bei dem ungewohnten Lärm und Gedränge verkrochen hatten. Ich sah in lauter lächelnde Gesichter, hörte einzelne Worte, die sich aus dem Stimmengewirr lösten, und fand keinen Zugang dazu. Ich hatte das Gefühl, von allem getrennt zu sein. Als hätten sich zwischen den andern und mir unsichtbare Mauern aufgerichtet.
    »Na, mein Mädchen?«
    Großmutter saß erschöpft in einem Sessel, den Stock auf den Knien.
    »Seit wann benutzt du einen Stock?«, fragte ich.
    »Seit ich mich wie hundertdreißig fühle«, gab sie mir zur Antwort.
    Ich beugte mich zu ihr hinunter und küsste ihre Wange, die weich war und warm, genau so, wie die Wangen einer Großmutter sein mussten. Dann ging ich in die Hocke und schaute ihr ins Gesicht.
    »Du bist die schönste und jüngste Großmutter, die ich kenne …«
    Ihr Lächeln zauberte Koboldfalten auf ihr Gesicht.
    »… und bestimmt die einzige, die Russisch lernt, Tanzkurse besucht, Yoga macht und …«
    »Lenk nicht ab, Jette.«
    Wie hatte ich glauben können, sie würde mich nicht durchschauen? Wie hatte ich ihren unbestechlichen Adlerblick vergessen können?
    »Du bist unglücklich«, stellte sie fest.
    Ich schüttelte den Kopf und lachte ein falsches Lachen. Es war zu hoch und zu dünn. Und dann ließen mich meine blöden Augen im Stich. Sie schwammen in Tränen. Ich senkte den Kopf.
    »Was hat er getan, um dich zum Weinen zu bringen?«, fragte Großmutter unerbittlich.
    »Getan? Wer?«
    »Stell dich nicht dumm, Jette! Du weißt genau, von wem ich spreche. Wie heißt er noch gleich, Lu…«
    Es war typisch, dass sie seinen Namen
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