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Der Sommerfaenger

Titel: Der Sommerfaenger
Autoren: Monika Feth
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Theaterbühne, mit großer Geste und überschäumendem Gefühl. Er war ein Hansdampf in allen Gassen, aber ich mochte ihn. Eine Ähnlichkeit mit Luke konnte ich an ihm allerdings nicht erkennen. Außer einer vielleicht – anscheinend hatte keiner von beiden das Talent, dauerhaftes Glück zu verschenken und selbst glücklich zu sein.
    Ich stand auf und folgte Merle ins Haus. Ich hatte keine Lust zu grübeln. Dieser Tag sollte ungetrübt sein.
    Claudio kam mir mit ausgebreiteten Armen entgegen.
    »Ah, Bella …«
    Er drückte mich an sich, küsste mich auf beide Wangen und schwor mir, niemals ein schöneres Mädchen gesehen zu haben.
    »Außer Merle«, sagte er mit samtweicher Stimme. »Sie ist meine Madonna.«
    Das war ein gewagter Vergleich, denn Merle hatte so gar keine Ähnlichkeit mit einer Madonna, weder äußerlich noch innerlich. Sie ließ sich von niemandem die Butter vom Brot nehmen, erst recht nicht von Claudio, dessen dominantes Gehabe sie immer wieder auf die Palme brachte.
    »Und wo ist Luke?«, fragte er und schaute sich suchend um.
    »Ihm ist was dazwischengekommen«, sagte ich.
    »Oh.«
    Ich mochte den Blick nicht, mit dem Claudio mich bedachte. Als hätte Luke mich sitzenlassen. Und als wüssten alle, warum. Alle außer mir.
    »Du hast es gerade nötig«, fauchte Merle ihn an. »Du bist doch auch nie da, wenn man dich braucht.«
    Claudio beugte sich zu ihr und küsste sie hinters Ohr. Ich konnte sehen, wie Merle gegen ihren Willen dahinschmolz. In diesem Moment klingelte der erste Gast.
    Eine halbe Stunde später vibrierte unser Haus von Stimmen, Gelächter und Musik. Meine Mutter trug ein schwarzes Leinenkleid und hatte sich ein hinreißend fein gewebtes weißes Seidentuch um die Schultern geschlungen. Sie war so schön, dass Tilo sie immerzu betrachtete.
    Meine Großmutter, die in letzter Zeit mehrmals gestürzt war, stützte sich auf einen Stock. Er war aus tiefschwarzem Ebenholz und hatte einen versilberten Griff. Mit leisem Erschrecken nahm ich wahr, dass meine Großmutter alt geworden war. Wieso hatte ich das nicht bemerkt?
    Ilkas Tante war gekommen, ebenso wie Minas Mutter. Beide schienen einander sympathisch zu finden. Sie saßen im entlegensten Winkel des Gartens und waren in ein eifriges Gespräch vertieft. Merles Tierschutzgruppe und ihre Kollegen vom Tierheim waren unserer Einladung geschlossen gefolgt, und auch die Mitarbeiter des St . Marien waren, bis auf diejenigen, die Dienst hatten, vollständig angerückt.
    Sogar Frau Stein, die Heimleiterin, war da. Sie hatte mir die Freude gemacht, den Professor und Frau Sternberg mitzubringen. Der Professor war heute klar und aufgeräumt. Er hielt sich trotz seiner Rückenschmerzen sehr gerade und überreichte mir eines seiner geliebten Bücher, den Fänger im Roggen von J. D. Salinger.
    »Das ist für den Kopf und das Herz. Und die hier«, er zauberte mit galantem Schwung eine langstielige rote Rose hinter seinem Rücken hervor, »die ist für die Sinne. Aber natürlich wissen Sie, dass all das zusammengehört.«
    Ich wollte ihm die Hand geben, um mich zu bedanken, doch er zog mich an sich und hielt mich kurz fest. Er roch nach Seife, frisch gewaschenem und gestärktem Hemd und einem Hauch Aftershave, und seine Umarmung ließ mir Tränen in die Augen steigen. Ich mochte ihn sehr, und es rührte mich, dass er für mich die Strapazen des Besuchs auf sich genommen hatte.
    Frau Sternberg hatte mir einen Stein mitgebracht, den sie im Park gefunden hatte.
    »Schauen Sie, Kindchen«, sagte sie. »Er hat die Form eines Delfins.«
    Das stimmte. Ich fuhr mit dem Daumen über die glatte, von ihrer Hand noch warme Oberfläche.
    »Ich liebe Delfine«, erklärte Frau Sternberg. »Mehr noch als Lisztäffchen, Erdmännchen und Flamingos. Oder Elefanten. Mein Mann bevorzugt Eisbären. Vielleicht wird er irgendwann Zoodirektor. Das würde mich freuen.«
    Herr Sternberg war weit über achtzig und besuchte seine Frau im St . Marien , sooft es ihm möglich war, obwohl sie ihn nicht mehr erkannte. Er unterhielt sich liebevoll mit ihr und ertrug es klaglos, dass sie ihn siezte wie einen Fremden, während sie ihm mit leuchtenden Augen von ihrem jungen, schnittigen Ehemann erzählte.
    Ich schlug ihr vor, an einem der nächsten Tage mit ihr in den Zoo zu gehen.
    Frau Stein gab mir mit einem leisen Nicken die Erlaubnis dazu. Ich hatte die füllige, energische, oft ziemlich ruppige und abweisende Heimleiterin im Laufe der Zeit schätzen gelernt und begriffen, dass
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