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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen
Autoren: Petra Oelker
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anderen Welt herüberklangen. Er war froh, dass er vor dem hastigen Aufbruch noch einmal zu Anne ins Haus gelaufen war. So würde sie nicht mit dem quälenden Gedanken an ihre harten und doch so wahren Worte zurückbleiben, sondern mit der Erinnerung an seine Umarmung und die Versicherung seiner unabänderlichen Liebe.
    Er hörte sie rufen. «Claes», rief sie, «Claes, wo bist du?»
    Er lächelte. Sie klang so besorgt.
    «Claes», klang es wieder durch die Dunkelheit, und da merkte er, dass es kein Trug war, sie rief ihn. Sie rief ihn hier, mitten im Wasser.
    «Anne», schrie er krächzend, «ich bin hier! Anne.»
    Er hörte eilige Ruderschläge. Kamen sie näher? Entfernten sie sich? Er konnte es nicht unterscheiden.
    «Dorthin», rief eine andere Stimme, «es war mehr dort drüben.»
    Die Ruderschläge kamen näher, sie kamen tatsächlich näher, und dann sah er sie. «Anne», flüsterte er.
    Aber sie hatte ihn schon entdeckt.
    Sie hockte im Bug eines kleinen Bootes, das nun vor ihm aus dem Dunst auftauchte, und ihre Arme streckten sich ihm entgegen.
    «Claes», schluchzte sie auf, «wir haben dich gefunden. Mein Gott, ich danke dir. Er ist da, er lebt.»
    Dann war das Boot neben ihm, und eine andere Gestalt, er glaubte Rosina zu erkennen, schob die aufgeregte Anne zur Seite. «Könnt Ihr ins Boot klettern?»
    Es war Rosina, auch wenn sie immer noch aussah wie Mylau, was ihn in diesem Moment auf ganz absurde Weise amüsierte.
    «Könnt Ihr?»
    Er nickte. «Sicher», flüsterte er und umklammerte das raue Holz. Aber seine Beine waren steif und fühllos, sie gehorchten ihm nicht. Das Boot schwankte gefährlich.
    «Wartet», schrie Rosina. «Anne, Blohm, lehnt euch auf der anderen Seite über den Rand, aber nicht zu weit. Haltet das Boot in der Balance. So passt doch auf!»
    Wieder neigte sich das Boot tief zur Seite und trieb einige Fuß weit ab. Dann kam es zurück, er umklammerte wieder den Rand, und mit einer letzten Kraft, die er sich nicht mehr zugetraut hatte, stieß er sich aus dem Weidengebüsch ab und rutschte mit der Hilfe von Rosinas kräftigen Armen ins Boot.
    Mittwoch, den 18. Junius,
morgens
    Als die Sonne aufging, herrschte im Herrmanns’schen Haus am Neuen Wandrahm schon Betrieb wie auf einem Jahrmarkt. In Elsbeths Küche dampfte und brutzelte es, die Mädchen liefen die Treppen hinauf und hinunter, schleppten heißes Wasser und Tücher, balancierten große Platten mit Eiern auf köstlich duftendem gebratenem Speck, mit Schinken und weißem Käse, Weizenbrot und kalter Pastete, Konfitüren, Sahneerdbeeren und den ersten Kirschen. Sie trugen Kannen mit heißem Tee und frischer Milch, und dass keine die Treppe hinunterstolperte, war das reinste Wunder. Brooks brachte Berge von Buchenscheiten, um das Feuer, das er im Zimmer des Herrn im Kamin entfacht hatte, tüchtig zu füttern. Nur Blohm war nicht zu bewegen, von der Seite seines Herrn zu weichen.
    Claes lag eingewickelt in heiße feuchte Tücher in seinem Bett, halb vergraben unter Bergen von Daunendecken, die Anne aus dem ganzen Haus herbeigeschleppt hatte. Er war benommen, aber er wollte nicht wieder im Dunkel versinken und kämpfte gegen den Schlaf. Unter den wärmenden Decken hielt er Annes Hand umklammert, als sei sie seine einzige Verbindung zum Leben.
    Immer wenn er doch die Augen schloss, glaubte er wieder in dem schwarzen Fluss zu versinken. Aber dann fühlte er Annes Hand, und schließlich gelang es ihm, in den Bildern der Finsternis über dem Wasser die Bilder seiner Rettung zu sehen.
    Als er endlich in dem schwankenden Boot gelegen hatte, hatte Rosina die Riemen übernommen, und Anne und Blohm begannen eilig, ihm die nassen Kleider auszuziehen. Er wehrte sich, es sei alles in Ordnung, er friere nur ein bisschen.
    Unsinn, brummte Blohm, die Sachen müssten runter, sonst hole ihn der Tod doch noch. Blohm hatte sein halbes Leben auf einem Hof in den Marschen gedient, er kannte die Überfälle der Hochfluten und wusste mit Leuten, die zu lange im Wasser gewesen waren, umzugehen. Sie rieben Claes’ Beine, bis er wieder Leben in ihnen spürte, und wickelten ihn in alle Kleider, die sie selbst entbehren konnten. Die vielen Tücher, die die schlanke Rosina zum fülligen Mylau aufgepolstert hatten, leisteten nun noch einmal gute Dienste. Dann half Blohm Rosina an den Riemen, und es gelang ihnen, nahe dem wartenden Zweispänner wieder ans Ufer zu kommen.
    Kurz vor Sonnenaufgang erreichten sie das Millerntor, und die verblüfften Wachen, die
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