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Der Sommer der Schmetterlinge

Der Sommer der Schmetterlinge

Titel: Der Sommer der Schmetterlinge
Autoren: Adriana Lisboa
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zubringen, vergessen in den Weiten des Bundesstaates.
    Armer João Miguel, sagte Maria Inês, und ihre Worte bestanden zu je einem Drittel aus Aufrichtigkeit, aus Ironie und aus Gleichgültigkeit. Sanft strich sie mit den Fingern über die Hand, die ihr Cousin zweiten Grades und Ehemann sich an diesem Sonntagvormittag bei einem Tennismatch verstaucht hatte, fünfunddreißig Jahre nach jenem uralten, mit Schimmel überzogenen Sonntagvormittag, an dem sie fern von Rio einen Berg hinaufgestiegen waren und sich einem verbotenen Steinbruch genähert hatten, um das Keimen eines Geldbaumes zu beobachten.
    Nach dieser behutsamen Geste, so zart wie die Berührung eines Insektenflügels, setzte Maria Inês ihre Lesebrille wieder auf und versenkte sich erneut ohne großes Interesse in ihre Zeitung. Diese Sonntagsausgaben sind Blödsinn, meinte sie. Nie berichten sie über wichtige Dinge. Aber genau darum geht es, sagte João Miguel, Sonntagsausgaben für Sonntagsleser.
    Maria Inês blätterte weiter und hielt gelegentlich inne, obwohl sie sich nicht wie eine Sonntagsleserin fühlte. Sie warf einen Blick in das beiliegende dünne Magazin, das Klatsch über nordamerikanische Filmstars und schlichte Mode- und Kosmetiktipps enthielt. Ein Interview. Werbung für einen Fitnesskurs. Eine uninspirierte Kolumne. Sie sah erst wieder auf, um den letzten Schluck Kaffee, stark und bitter wie in Italien, aus ihrer Tasse zu trinken.Auf ihren Reisen hatte sie sich angewöhnt, den Kaffee so zu mögen. Sie stellte die weiße Tasse zurück auf die weiße Untertasse, die sich auf einem Glastisch mit weißem Marmorständer befand. Ebenfalls italienisch.
    Es war zu heiß, und das morgendliche Blau war wenig vertrauenerweckend. Intensiv, aber porös, mit unzähligen Löchern und Fehlern. Zu intensiv, wie das Blau auf einem Ölgemälde, wie ein künstliches, auf der Palette eines Malers erzeugtes Blau.
    In den Straßen von Rio de Janeiro führten einfache dicke Frauen knappe Shorts spazieren, die kaum ihre prallen, mit Cellulitis überzogenen Schenkel verbargen, dazu Trägershirts, unter denen schlaffe Brüste schaukelten. Zwischen ihnen stöckelten würdevolle Damen mit schmalen Augenbrauen über den Bürgersteig, der weite Ausschnitt ihrer Blusen gab die Träger ihrer Büstenhalter preis. Auf ihrer Stirn und über ihren rotverschmierten Lippen hatten sich Tausende von Schweißtröpfchen gesammelt, gegen die sie mit Batisttüchern ankämpften. Auch die Männer schwitzten, zogen ihre Hemden aus und entblößten faule, übermäßig gebräunte Bäuche. Fast alle Menschen waren, nebenbei bemerkt, übermäßig gebräunt: ringsum Gesichter wie Tomaten, unschöne weiße Streifen von Badeanzügen auf den Schultern, Haut, die sich nach exzessivem Sonnenbad ablöste wie Papier, Lippen, aufgeplatzt wie reife Früchte.
    Die Hitze war überall, und es half wenig, den trügerischen Schutz des Meeres zu suchen, denn die Sonne brannte auch dann, wenn das kalte Salzwasser Linderungversprach. Das Salz verschlimmerte die Verbrennungen der Haut nur noch. Nirgends entkam man der Hitze, sie herrschte am Strand, auf den Gehwegen, in den Geschäften, in den Bäumen, überall, sie hing in der Luft, strahlte von den Wänden, plagte die Hunde, entströmte den Papayas, die auf dem Esstisch liegen geblieben waren. Und wie ein zusätzlicher, flimmernder Farbton drang sie durch das unwirkliche Blau des Himmels.
    Doch in dem geräumigen Wohnzimmer von Maria Inês und João Miguel Azzopardi gab es ein Hilfsmittel mit der Bezeichnung »Klimaanlage mit dreiundzwanzigtausend BTU«. Das Apartment im Stadtteil Alto Leblon erinnerte an ein Aquarium, in dessen gekühltem Wasser neben den sichtbaren Fischen auch ein paar heimliche schwammen, die meisten von ihnen namenlos.
    Eine Innenarchitektin hatte ihnen dieses viele Weiß empfohlen. Weißes Sofa, weiße Wände, weiße Sessel. Weiße Ideen und weiße Unwahrheiten. Viel weißer Marmor. Ein wenig gebürsteter Stahl, wie an den beiden Stühlen. Das Regal aus Elfenbeinholz. Eine grenzenlose aseptische Phantasiewelt.
    Das Geld, mit dem all das bezahlt worden war, war nicht dem fünfunddreißig Sommer zuvor in der Nähe eines verbotenen Steinbruchs gesäten Baum entsprungen. Es entstammte der natürlichen Fortführung der Laufbahn des vecchio Azzopardi durch den Sohn Azzopardi, João Miguel. In diesem Jahr, wie in allen anderen, erwartete der Vecchio ihren Besuch in der Villa in seiner toskanischen Heimat, wohin er sich als Pensionär im Alter
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