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Der Sommer der Frauen

Der Sommer der Frauen

Titel: Der Sommer der Frauen
Autoren: Mia March
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mit dreizehn – an nichts anderes hatte denken können als an Edwards Gesicht, die Länge seiner Wimpern, den Schwung seiner Nase, die dunkelbraunen Augen, die selbst heute noch manchmal eine Erinnerung an das wütende, todtraurige Mädchen hervorlockten, das sie damals war. Ein Mädchen, das voller Träume gewesen war – bis zu dem Unfall, der ihr Leben und Isabels und auch das ihrer Cousine Kat für immer verändert hatte. Als June dann zum Studium an die Columbia gegangen war, hatte sie ihre Träume endlich wiederentdeckt. Weit weg von Tante Lolly, weg von der angestaubten, altmodischen Pension, die für Touristen der Inbegriff von «authentischem Fischerdorfcharme» war, hatte June zu sich selbst gefunden. Bis sie eines Tages auf einer Bank im Central Park versetzt wurde und ihr Leben sich wieder völlig veränderte.
    Wieder in der Stadt zu arbeiten, wo sie so oft als
arme Juney
bezeichnet worden war, dass sie es sogar schon aus dem Munde völlig Fremder erwartet hatte? Nein danke. «Aber Jasper, Boothbay Harbor liegt anderthalb Stunden von Portland entfernt. So eine Strecke kann ich unmöglich zweimal täglich pendeln. Außerdem kann ich nicht zurück. Ich werde hier schon irgendwas anderes finden. Vielleicht braucht die Bücherei –»
    Jasper drückte ihr mitfühlend die Schulter. «Süße, ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll, aber … wenn wir den Laden aufgeben, dann geben wir auch die beiden Wohnungen auf. Sie sind Bestandteil des Mietvertrages und liegen weit unter der ortsüblichen Miete.»
    June sank in ihrem Stuhl zusammen.
O nein!
    Jasper drückte ihr noch mal die Schulter. «Du wirst schon was finden, Junikäferchen. Einen neuen Job, eine neue Wohnung. Du landest doch immer auf deinen Füßen.»
    Wieso hatte sie dann das Gefühl, als würde ihr genau unter denen der Boden weggezogen werden?
    *****
    June stand am Tresen ihrer kleinen Küche. Hier hatte sie Charlie mit seinem allerersten Löffel Erdnussbutter gefüttert, hier am Tisch hatte sie wieder und wieder mit ihm Fische angeln gespielt und nachts oft stundenlang bei einer Tasse Tee mit dem Fotoalbum voller Bilder ihrer Eltern gesessen, wenn sie wieder mal nicht schlafen konnte.
    Sie ließ den Blick über die alten Küchenschränke und das abgenutzte, schwarz-weiße Linoleum schweifen. Ihre kleine Wohnung war wirklich nichts Besonderes, das wusste sie selbst, ganz im Gegensatz zu dem Designerkasten ihrer Schwester in Connecticut. Doch die Wohnung trug ihre Handschrift. June hatte die Wände hellgelb gestrichen, die Böden mit bunten Flickenteppichen geschmückt, hatte mit Hilfe von Überwürfen, Zierkissen und Vorhängen so einiges zuwege gebracht und die kleine Wohnung für sich und Charlie zu einem gemütlichen Zuhause gemacht.
    Nicht weinen
, befahl sie sich. Sie stand mit dem Rücken zum Küchentisch, an dem Charlie und sein neuer Freund Parker mit den Bastelmappen saßen, die sie aus der Ferienbetreuung mitgebracht hatten. Die beiden Jungen hätten gegensätzlicher nicht sein können – Charlie mit den feinen, dunklen Haaren und den grünen Augen (beides eindeutig nicht von ihr) und Parker mit dem wilden blonden Lockenschopf und den engelsblauen Augen.
    June nahm ein paar Käsestangen von der Anrichte, schenkte Apfelsaft in zwei Batman-Becher und stellte den Snack auf den Tisch. Sie hatte vom Bäcker noch ein paar Cupcakes mitgebracht, weil sie zur Aufmunterung dringend etwas wie den Erdnussbutter-Whoopie brauchte, den sie für sich selbst mitgenommen hatte. Sie würde die Jungen ein bisschen später mit den Törtchen überraschen.
    «Weißt du was?», flüsterte Charlie seinem Freund gerade zu und rückte mit seinem Stuhl ein bisschen näher. «Ich kann bei unserem Projekt gar nicht mitmachen, weil ich keinen Papa habe.»
    June holte hörbar Luft. Was war das denn?
    «Wieso hast du keinen Papa?», wollte Parker wissen.
    Charlie zuckte mit seinen schmalen Schultern und nestelte an seinem Batman-Umhang, den Kat ihm zum siebten Geburtstag geschickt hatte. «Hab halt keinen.»
    Parker ahmte seine Geste nach. «Ich dachte, jeder Mensch hat einen Papa.»
    Charlie schüttelte den Kopf. «Ich nicht.»
    Die beiden Kinder drehten sich um und sahen June fragend an.
    Sie reagierte mit der altbekannten Angst, die sie jedes Mal wieder überfiel, wenn Charlie wissen wollte, wer sein Vater war. Es gab auf diese Frage einfach keine richtige Antwort. Manchmal, vor allem, wenn sie andere Mütter und Väter gemeinsam bei irgendwelchen
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