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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
Autoren: Fabio Geda
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ich dann mit höchst unangenehmen Zukunftsaussichten konfrontiert: Um unsere Schuld wiedergutzumachen, hatten Michele, Salvo und ich uns vom ersten Tag der Sommerferien an pünktlich um neun bei Don Luciano in der Pfarrei zu melden. Anschließend mussten wir für ihn und Signora Puglisi alle möglichen Handlangerdienste verrichten wie putzen, den Gemeindebrief austragen oder schwere Kisten schleppen. Wann diese Bestrafung ein Ende haben würde, stand noch nicht fest, aber wir hatten den bösen Verdacht, dass wir von nun an sämtliche Vormittage des Juni, Juli und – was der Himmel verhüten möge –, auch des August opfern müssten. In meinem Fall kam noch erschwerend hinzu, dass ich unschuldig war, was mich erst recht wütend machte. Als ich Michele und Salvo zum ersten Mal wiedersah und zum ersten Mal nicht an die dicke Kröte denken musste, hätte nicht viel gefehlt, und wir hätten uns geprügelt. Ich beschimpfte sie als Arschlöcher, schließlich ist man nicht so blöd und wirft das Sakristeifenster des eigenen Dorfs ein – erst recht nicht, wenn dieses Dorf nur zweitausend Einwohner hat, die sich alle untereinander kennen. Ich beschimpfte sie auch deshalb als Arschlöcher, weil sie mich nicht verteidigt, ja es nicht einmal versucht hatten. Ich war an besagtem Tag nicht dabei gewesen, und sie waren die Einzigen, die das bezeugen konnten.
    Das Problem war nur, dass sie behaupteten, nichts von der Sache zu wissen; beide seien zum Zeitpunkt des Steinwurfs tatsächlich allein zu Hause gewesen: um die Photosynthese zu lernen (Michele) und um einen Dokumentarfilm über Maradona zu sehen (Salvo). Die Carabinieri und Don Luciano hätten sie dem Laufburschen vom Celima gegenübergestellt, und der habe bestätigt, sie und einen Dritten gesehen zu haben, der vielleicht ich gewesen sei oder auch nicht. Man habe ihm geglaubt, und so wie ich meine ehemals besten Freunde kannte, glaubte ich ihm auch, denn so ein Mist war wirklich typisch für sie.
    »Aber wer war dann der Dritte im Bunde?«, fragte ich Salvo eines Tages, als wir in kurzen Hosen die Holzbänke der Kapelle des heiligen Hieronymus Savonarola mit einem in Leinöl getränkten Lappen auf Hochglanz brachten.
    »Du willst mir also nicht glauben!«, erwiderte er und wischte sich den Schweiß mit einer öligen Hand von der Stirn.
    »Ich wüsste wenigstens gern, für wen ich mir hier den Arsch aufreiße!«, sagte ich seufzend.
    »Für das blinde Arschloch von einem Celima natürlich, hast du das immer noch nicht kapiert? Der hat sich das Ganze ausgedacht, wahrscheinlich hat er sogar den Stein geworfen. Um es uns heimzuzahlen und sich ins Fäustchen zu lachen. Und das nur, weil wir ihn wegen seiner Brille aufziehen!«
    »Aber klar doch!«, sagte ich. »Wie soll der bitte schön das Sakristeifenster treffen? Der trifft noch nicht mal das Gebäude!«
    »Soll das ein Witz sein?« Salvo warf den Lappen in den Eimer, stand auf und nahm etwas von der Fensterbank. Es war ein Etui mit einer Nickelbrille. Er reichte sie mir.
    »Setz sie auf, dann beweis ich es dir!«, sagte er.
    »Wem gehört die denn?«
    »Don Luciano.«
    »Du spinnst ja!«, sagte ich. »Leg sie sofort wieder zurück.«
    »Setz sie auf! Ich habe sie gestern aufgesetzt. Und sogar mit dieser Brille, mit der man nichts sieht, hab ich das Jahrmarktsplakat da unten getroffen. Und das ist immerhin zehn Meter weit weg.«
    »Leg die Brille wieder weg!«
    In diesem Moment hallte die Stimme des Pfarrers durch den Raum. »Los, zurück in die Bankreihen, ragazzi !«, ermahnte er uns.
    »Wir sind hier gleich fertig, Don Luciano«, rief ich.
    »Sofort!«
    Salvo legte kopfschüttelnd die Brille in das Etui zurück und dieses auf die Fensterbank zu den Geranien. »Depp!«, sagte er, als er zurückkehrte.
    »Zeno.« Signora Puglisi erschien auf der Orgelempore. »Deine Mutter hat angerufen, du sollst sofort nach Hause kommen. Don Luciano hat es erlaubt.«
    »Und mich lässt du im Stich?«, beschwerte sich Salvo.
    »Halt dich an Michele!«, sagte ich und wischte mir die Hände an der Hose ab. »Oder an den Blinden.«
    Dann schwang ich mich aufs Rad und nahm die Straße, die parallel zu den Bahngleisen verläuft. Ich fuhr am Bauholzdepot und an den zweistöckigen Neubauten vorbei, von denen einige ein gemauertes Portal hatten, aber alle einen Garten, der von vertrockneten Hecken begrenzt wurde: Seit einigen Wochen war die Hitze wirklich unerträglich, Rollläden und Markisen blieben den ganzen Tag unten. Der Himmel war klar und
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