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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
Autoren: Fabio Geda
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portugiesisches Mädchen, weshalb ich meine Eltern im Jahr darauf überredete, in Portugal Urlaub zu machen.
    Aber auf dem Rückweg von Lissabon – wir waren mit dem Auto unterwegs – beschlossen wir, in Colle Ferro vorbeizuschauen.
    Wir hatten bestimmt ein Dutzend Mal telefoniert, meist an Geburtstagen und natürlich an Weihnachten. Wollte ich ihn sprechen, rief ich bei Rosa im Laden an. Daraufhin ließ sie ihn holen. Nach zwanzig Minuten – exakt die Zeit, die man braucht, um zu Großvaters Haus und wieder zurück zu gehen – wählte ich die Nummer erneut. Manchmal ging Isacco dran. Dann wechselten wir rasch ein paar Worte und tauschten die wichtigsten Neuigkeiten aus.
    Isacco hatte im September 1999 eine Fliesenlegerlehre begonnen, die er seinen Verwandten zuliebe auch abschloss. Doch seine eigentliche Leidenschaft galt mittlerweile dem Karate. Er ging in ein Fitnessstudio, und nachdem er irgendeinen bestimmten Gürtel erworben hatte, begann er Kinder zu unterrichten. Nur dass deren Eltern nicht mit seiner Lehrmethode einverstanden waren. Worte wie »Gewaltverzicht« und »bloße Selbstverteidigung« stellten für Isacco reine Theorie dar. Also hatte man ihn rausgeworfen, was er sich allerdings nicht sehr zu Herzen nahm. Er war zum Diakon gegangen und hatte ihn überredet, ihm den Pfarrsaal von Colle Ferro dreimal die Woche für einen Anfängerkurs zur Verfügung zu stellen, der allen Altersgruppen offen stand. Rosa lachte sich halb tot, als sie mir erzählte, dass sechs von acht Schülern über sechzig seien, dass es großen Spaß mache, ihn mit den Alten trainieren zu sehen, und dass die Gemeinde vorhabe, noch mehr Geld für ähnliche Kurse im Tal aufzutreiben, die er ebenfalls leiten solle.
    Doch zurück zu Großvater: Unsere Telefongespräche kann man sich vorstellen. Schweigen wie Spinnweben, in denen sich sämtliche Mücken der Camargue hätten verfangen können. Aber ich hatte gelernt, aus diesem Geflecht unausgesprochener Gedanken die Wahrheit herauszufiltern. Ich sprach frei von der Leber weg, so als kniete ich in einem Beichtstuhl. Anschließend wartete ich, bis meine Stimme über die geheimnisvollen Wege der Telekommunikation bis zu ihm vorgedrungen war. Ich stellte mir vor, wie er die Informationen einordnete und interpretierte, überlegte, was er sagen sollte. Wie er sich von meinem Leben nährte. Wie er sich von mir verabschiedete, wohl wissend, dass wir uns nach sechs, sieben Monaten wieder sprechen würden.
    Anschließend joggte ich am Strand entlang.
    Insgesamt haben wir uns noch viermal gesehen: Das erste Mal wie bereits gesagt auf der Rückfahrt von Portugal. Drei Jahre waren vergangen, seit Vater ins Krankenhaus gekommen war und ich den Sommer in Colle Ferro verbracht hatte. Wir trafen Großvater im Haus an.
    Er plante gerade mit Cesco den über zwei Jahre dauernden Reifeprozess eines bestimmten Ziegenkäses, der in Tabak- und Kastanienblätter eingewickelt wird. Als er den Motor hörte, trat er ans Fenster. Er gab meinem Vater die Hand, legte die andere auf meine Schulter und musterte mich forschend von der Seite, suchte den Blick meiner Mutter, woraufhin beide sich mit einem Ciao begrüßten, das alles enthielt, was sie mit sich herumtrugen: Vorwürfe, Erinnerungen, Nachsicht.
    Meine Mutter und Großvater sprachen nach wie vor nicht miteinander, und wenn doch, dann nur sehr wenig. Die jeweilige Abwesenheit des anderen war selbstverständlich geworden und hatte sie verstummen lassen. Wir gingen auf eine Tasse Tee ins Haus. In einer Ecke hinter dem Sofa entdeckte ich jede Menge an die Wand gelehnte Leinwände.
    »Was ist damit?«
    »Ich male immer noch. Nach diesem Bild hier habe ich Feuer gefangen.« Er zeigte auf unseren Silver Surfer über dem Stausee, der anstelle von Le déjeuner sur l’herbe an der Wand hing. »Außerdem gebe ich der Tochter des Tabakhändlers Malunterricht.«
    Es waren Landschaftsbilder, Häuser, Felsen, Weinberge, auf denen keine Menschenseele zu sehen war.
    »Simone«, sagte mein Vater, der gerade auf einem Stück Ziegenkäse und einer Scheibe Schwarzbrot kaute. »Dieser Käse ist großartig! Meinst du, den kann man nach Capo Galilea schicken?«
    Großvater nickte. »Ich werde mit Cesco darüber reden.«
    »Fantastisch!«, sagte mein Vater begeistert. »Agata, hast du den schon probiert?«
    Meine Mutter staubte gerade die Bücher ab, um sich irgendwie zu beschäftigen. »Wenn wir zum Abendessen bleiben, koste ich ihn später.«
    »Bleiben wir?«, fragte
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