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Der Sohn des Sehers 03 - Renegat

Titel: Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
Autoren: Torsten Fink
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anschickte, ihn zu verlassen. Dann blieb er stehen und sagte leise: »Möge Mareket dich leiten, Awin, und vor allem, möge er dich zurückbringen.«
    Awin nickte gedankenverloren und lauschte auf die Schritte des Bogners, die sich langsam entfernten. »Bitte, ehrwürdiger Raschtar«, sagte er dann freundlich.
    »Yeku meint, dass du nicht zurückkehren wirst. Er freut sich«, antwortete Mahuk Raschtar.

    Awin öffnete die Augen. Der Ussar sah fast so aus wie damals, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, in jenem Birkenwäldchen vor der Festung Pursu: schwarzbärtig und finster, doch Awin konnte die Miene des Raschtars inzwischen weit besser lesen als früher. Sorge stand darin geschrieben. »Yeku sagt, die Seelenschlange wird dich holen.«
    »Ich werde deinem Stock nicht den Gefallen tun, mich fressen zu lassen«, erklärte Awin ruhig. Mahuk brummte und verließ das Zelt. Dabei stützte er sich schwer auf den knorrigen Stab mit den drei geschnitzten Gesichtern, in den der Geist eines bösen Raschtars gebannt war. Awin sah Mahuk nach, bis auch er die schwarzen Decken hinter sich zuschlug.
    Endlich war er allein. Jedenfalls beinahe. Ihm gegenüber stand eine Bahre. Merege lag reglos darauf, Merege, die genau an dieser Stelle Slahan, die Gefallene Göttin, bezwungen hatte. Sie hatte teuer für ihren Sieg bezahlt. Sie lag dort, bleich, ohne Leben, aber auch nicht tot, mit geöffneten, weiß leuchtenden Augen, und seit über sechzig Tagen hatte sich dieser Zustand nicht geändert. Draußen hörte er es flüstern. Da war Wela, die Schmiedin, die immer noch nicht verstand, warum er diese Gefahr auf sich nahm, nur um »die« zu retten. Er hörte auch Gunwa, seine Schwester, die sanft widersprach, aber sehr besorgt war, und Tuge, der sich Mühe gab, beide zu beruhigen. Awin atmete tief durch. Für einen kurzen Augenblick kehrte die Furcht zurück. Vielleicht ist es besser, Angst zu haben. Das verhindert, dass ich leichtsinnig werde , dachte er. Die Anspannung würde hoffentlich nachlassen, wenn er erst einmal mit dem Ritual begonnen hatte. Mit einem Mal konnte er den Sonnenuntergang nicht mehr erwarten. Er blickte zu den Wolken. Eine Schar Tauben, die die Viramatai so liebten, zog ihre Kreise über dem Hof. Gerade noch streifte das Sonnenlicht die Wolkenränder, aber lange konnte es nicht mehr dauern. Awin hatte auf das Dach des
Zeltes verzichtet, denn die Überlieferung sagte, dass das Ritual der Reise unter freiem Himmel durchgeführt werden musste, damit der Geist bis zu den Sternen reisen konnte. Awin wusste, dass das nicht stimmte. Er selbst hatte die Reise schon in einer finsteren Kammer angetreten, damals, als sie in die Gänge von Uos Mund hinabgestiegen waren. Uos Mund. Ein unbegründetes Lächeln zuckte über Awins Lippen. Die Hakul erzählten sich, dass Uos Mund ein Zugang zur Unterwelt war. Er schickte sich nun an, einen anderen zu finden.
    Er lauschte den Schritten auf der anderen Seite der Zeltbahn. Seine Freunde würden in der Nähe bleiben, als könnten sie ihm bei dem, was er nun vorhatte, helfen oder ihm beispringen, wenn er in Not geriet. Ich hätte ihnen nicht sagen sollen, was ich vorhabe , dachte Awin, obwohl er genau wusste, dass es sich nicht hätte vermeiden lassen. Er war auf den Rat von Mahuk angewiesen, der viel über die Geisterwelt wusste, und er brauchte Tuge, weil dieser kein Blatt vor den Mund nahm und Awin seine Entscheidungen überprüft wissen wollte. Er schüttelte noch einmal den Kopf über sich selbst. Am Anfang war es nur ein abwegiger Gedanke gewesen, geboren aus der Verzweiflung darüber, dass Tengwil ihm nicht mehr erlaubte, auf die Reise zu gehen. Wenn aber die Schicksalsweberin ihm nicht half, konnte er dann vielleicht eine andere Macht um Hilfe bitten? Als dieser Gedanke erst einmal geboren war, war er gewachsen, hatte sich selbständig gemacht und schließlich eine Antwort gegeben, die Awin nicht gefiel. Er hatte plötzlich gewusst, an wen er sich wenden musste, um Merege zu helfen, aber er wusste nicht, ob das ratsam, ja, ob es überhaupt möglich war. Er hatte Mahuk nach seiner Meinung gefragt, der sein Entsetzen kaum hatte verbergen können, dann Brami Vareda, die ebenso bestürzt gewesen war. Wela war von seinen langen Gesprächen mit der Priesterin nicht begeistert gewesen, auch, weil er sich zunächst geweigert
hatte zu verraten, was er mit der Brami besprach. Vareda hatte ihm seine Fragen jedoch nicht beantworten wollen, indem sie behauptete, es überstiege ihr
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