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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken
Autoren: Gary Jennings
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unwahrscheinlich. Der Ort bestand hauptsächlich aus den Hütten und Schuppen der Arbeiter und Sklaven. Doch sie umgaben den eigentlichen Handelsposten, der sich gesichert innerhalb eine Palisade aus dicken, dicht beieinander stehenden Baumstämmen befand, die am oberen Ende angespitzt waren. Das gleichermaßen schwere Tor war fest verschlossen und von innen verriegelt. Aus schmalen Schlitzen im Holz ragten die Rüssel von Donnerrohren hervor. Als unsere Krieger beim Angriff schreiend und brüllend über das freie Gelände vor der Befestigungsanlage rannten, vermutete ich, wir müßten den schweren Eisenkugeln ausweichen, die ich früher aus spanischen Donnerrohren hatte herausfliegen sehen. Doch diesmal hatten die Soldaten diese Kugeln mit Metallstückchen, Feuersteinsplittern, Nägeln, Glasscherben und ähnlichem gefüllt. Wenn sie donnernd auf uns zuflogen, konnte man ihrem tödlichen Schauer nicht ausweichen. Sehr viele meiner Krieger in vorderster Linie sanken schrecklich verstümmelt, zerrissen und zerfetzt zu Boden.
    Zu unserem Glück dauert es noch länger, ein Donnerrohr zu laden als einen Donnerstock. Bevor die spanischen Soldaten es geschafft hatten, waren wir überlebenden Krieger dicht vor den Palisaden angelangt, und dorthin ließen sich die Donnerrohre nicht richten. Meine Rarámuri machten ihrem Namen ›Schnellfüße‹ alle Ehre. Sie erkletterten die ungeschälten Stämme und sprangen auf der anderen Seite hinunter. Einige warfen sich sofort auf die spanischen Verteidiger, während andere zum Tor eilten und die Riegel zurückschoben, um uns einzulassen.
    Die Soldaten waren allerdings keine Feiglinge und auch nicht genügend geschwächt, um sich sofort zu ergeben. Ein Trupp nahm in einiger Entfernung Aufstellung und beschoß uns mit Arkebusen. Doch meine Schützen, die inzwischen den richtigen Umgang mit ihren Waffen beherrschten, erwiderten das Feuer mit gleicher Treffsicherheit und erzielten die gleiche tödliche Wirkung. Wir anderen fielen derweil mit Speeren, Schwertern und Maquáhuime über die Spanier her und kämpften schließlich Mann gegen Mann.
    Es war kein kurzer Kampf. Die tapferen Soldaten waren bereit, sich bis in den Tod zur Wehr zu setzen. Und den fanden sie schließlich alle.
    Auch eine bedauerlich hohe Zahl meiner Krieger verlor vor und hinter den Palisaden das Leben. Wir hatten auf unserem Marsch keine Wickler mitgenommen, die sich der Verwundeten hätten annehmen können, und da wir keine Pferde vorfanden, um sie zu transportieren, konnte ich die Garausmacher nur anweisen, allen Schwerverletzten, die den Rückmarsch nicht geschafft hätten, einen schnellen, gnädigen Tod zu gewähren. Es war ein teurer, aber trotzdem einträglicher Sieg. Der Handelsposten erwies sich als eine wahre Schatzkammer voller nützlicher und wertvoller Waren – Pulver und Bleikugeln, Arkebusen, Schwerter und Messer, Decken und Kleider, geräucherte und gesalzene Vorräte, sogar Krüge voll Octli und Chápari und spanischen Weins. Die Überlebenden feierten mit meiner Erlaubnis so ausgiebig, daß wir uns am nächsten Morgen alle ziemlich betrunken und mit unsicheren Beinen auf den Rückweg machten. Wie zuvor forderte ich die Familien der Sklaven auf, sich uns anzuschließen. Die meisten taten es und trugen unsere Ballen, Beutel und Krüge mit der Beute.
    Bei der Rückkehr in unser Lager hinter den Ruinen von Tonalá hörte ich mit Freuden von Nochéztli, daß sich sein Unternehmen als sehr viel weniger schwierig erwiesen hatte als das meine. Der Ort war nicht von ausgebildeten Soldaten geschützt worden, sondern von den Sklaven der Besitzer, die natürlich nicht mit Arkebusen bewaffnet gewesen und keineswegs darauf versessen gewesen waren, einen Angriff zurückzuschlagen. Deshalb verlor Nochéztli keinen einzigen Mann. Auch sein Trupp kam mit großen Nahrungsvorräten, mit Säcken voll Mais, warmen Stoffen und verwendbaren spanischen Kleidern zurück. Das Beste von allem waren die vielen Pferde und eine Rinderherde mit beinahe ebenso vielen Tieren, wie Coronado sie bei seinem Zug in den Norden mitgenommen hatte. Wir würden nicht mehr viel auf Nahrungssuche gehen oder jagen müssen. Wir hatten genug, um unser ganzes Heer lange Zeit zu verpflegen.
    »Und hier, Herr«, sagte Nochéztli, »ein Geschenk von mir an Euch. Sie stammen vom Bett eines spanischen Edelmannes.« Er gab mir zwei ordentlich gefaltete wundervoll glänzende Seidentücher, die kaum Blutflecken hatten. »Ich finde, der Uey-Tecútli der
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