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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein
Autoren: Robert Silverberg
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Hütten entlang. Das war der Weg zum hinteren Tor von Eluria, vermutete Roland.
    Der Revolvermann führte sein sterbendes Pferd weiter, ging über den Platz zu dem Trog aus Eisenholz und sah hinein.
    Der angenagte Stiefel gehörte keinem Mann, sondern einem Jungen, der gerade erst zum Mann heranwuchs - und er wäre wahrlich ein großer Mann geworden, schätzte Roland, auch wenn man bedenken mußte, daß sein Körper aufgebläht war, da er eine unbekannte Zeitspanne in gut zwanzig Zentimeter tiefem Wasser lag, das unter der Sommersonne zu sieden schien.
    Die Augen des Jungen, jetzt nur noch milchige Kugeln, starrten blind wie die Augen einer Statue zu dem Revolvermann auf. Sein Haar schien die weiße Farbe des Alters zu haben, aber das lag am Wasser; wahrscheinlich war er ein Flachskopf gewesen. Seine Kleidung war die eines Cowboys, obwohl er kaum älter als vierzehn oder sechzehn gewesen sein konnte. Um den Hals, den man verschwommen unter Wasser erkannte, das in der Sommersonne langsam zu einem Fleischeintopf wurde, trug er ein goldenes Medaillon.
    Roland streckte die Hand ins Wasser, was ihm nicht benagte, aber er verspürte eine gewisse Verpflichtung. Er legte die Finger um das Medaillon und zog. Die Kette riß, und Roland hob das tropfende Ding hoch.
    Er erwartete eigentlich das Sigul des Jesusmannes - das Kreuz oder Kruzifix genannt wurde -, aber statt dessen hing ein kleines Rechteck an der Kette. Das Objekt schien aus reinem Gold zu sein. Folgende Inschrift war darin eingraviert:
     
    James
Geliebt von seiner Familie. Geliebt von GOTT .
     
    Roland, den der Ekel fast daran gehindert hatte, in das verseuchte Wasser zu greifen (als jüngerer Mann hätte er es nie und nimmer über sich gebracht), war nun doch froh, daß er es getan hatte. Vielleicht lief er nie jemandem über den Weg, der diesen Jungen geliebt hatte, aber er verstand genug von Ka, um zu begreifen, daß es dennoch der Fall sein mochte. Wie auch immer, es war richtig gewesen. Und es war richtig, dem Jungen ein anständiges Begräbnis zuteil werden zu lassen . . . das hieß, vorausgesetzt, er konnte den Leichnam aus dem Trog hieven, ohne daß er in der Kleidung zerfiel.
    Roland überlegte noch und versuchte, seine mögliche Pflicht unter diesen Umständen gegen den stärker werdenden Wunsch abzuwägen, aus dieser Stadt zu verschwinden, als Topsy schließlich tot umfiel.
    Der Rotschimmel sackte mit einem Knirschen des Sattelzeugs und einem letzten wiehernden Stöhnen zusammen, und prallte auf den Boden. Roland drehte sich um und sah acht Leute auf der Straße, die in einer Reihe auf ihn zukamen wie Treiber, die versuchen, Vögel oder Niederwild aufzuscheuchen. Ihre Haut sah grün und wächsern aus. Leute mit solcher Haut würden wahrscheinlich in der Dunkelheit leuchten wie Gespenster. Ihr Geschlecht war schwer zu schätzen, aber was für eine Rolle hätte es auch gespielt - für sie oder einen anderen? Sie waren Langsame Mutanten, und sie schritten mit der gebückten Zielstrebigkeit von Leichen dahin, die ein geheimnisvoller Zauber wiederbelebt hatte.
    Der Staub hatte ihre Schritte wie ein Teppich gedämpft. Nachdem der Hund vertrieben war, hätten sie gut und gerne in Angriffsreichweite gelangen können, wenn Topsy Roland nicht den Gefallen getan hätte, in einem derart passenden Augenblick zu sterben. Schußwaffen konnte Roland keine sehen; sie waren mit Keulen bewaffnet. Es handelte sich vorwiegend um Tisch- und Stuhlbeine, aber Roland sah eine Keule, die mehr gemacht als zweckentfremdet aussah - eine Anzahl rostiger Nägel ragten daraus hervor, und Roland vermutete, daß sie sich einmal im Besitz eines Rausschmeißers im Saloon befunden hatte, möglicherweise desjenigen, der im Wilden Schwein das Sagen hatte.
    Roland hob die Pistole und richtete sie auf den Burschen in der Mitte der Reihe. Nun konnte er das Schlurfen ihrer Füße und das feuchte Schniefen ihres Atems hören. Als hätten sie alle einen schlimmen Brustkatarrh.
    Sind wahrscheinlich aus den Minen gekommen, dachte Roland. Irgendwo hier in der Gegend gibt es Radiumminen. Das würde die Haut erklären. Mich wundert, daß die Sonne sie nicht tötet.
    Vor seinen Augen starb dann tatsächlich einer von ihnen, zumindest brach er zusammen - derjenige am Ende, eine Kreatur mit einem Gesicht wie geschmolzenes Kerzenwachs. Er (Roland war ziemlich sicher, daß es sich um einen Mann handelte) fiel mit einem leisen, blubbernden Aufschrei auf die Knie und tastete nach der Hand des Dings, das neben
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