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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein
Autoren: Robert Silverberg
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Stadthalle. Außerdem ein kleines, aber hübsches Holzhaus mit einem bescheidenen Glockenturm auf dem Dach, einem soliden Sandsteinfundament und einem goldenen Kreuz auf der Doppeltür. Das Kreuz, das wie jenes über dem Tor aussah, kennzeichnete dieses Haus als eine Kultstätte derer, die den Jesusmann verehrten. Es war keine verbreitete Religion in Mittwelt, aber alles andere als unbekannt; dasselbe hätte man heutzutage über die meisten Formen der Anbetung sagen können, einschließlich jener von Baal, Asmodeus und hundert anderen. Der Glauben hatte sich, wie alles andere auf der Welt, auch weitergedreht. Soweit es Roland betraf, war der Gott des Kreuzes nur eine von vielen Religionen, die lehrten, daß Liebe und Mord untrennbar miteinander verbunden waren - daß Gott letzten Endes immer Blut trank.
    Derweil blieb das singende Zirpen von Insekten, das sich fast wie das von Grillen anhörte. Das verträumte Läuten der Glocken. Und das seltsame hölzerne Pochen, als würde eine Faust auf eine Tür schlagen. Oder auf einen Sargdeckel.
    Hier stimmt ganz entschieden etwas nicht, dachte der Revolvermann. Obacht, Roland; diesem Ort haftet ein rötlicher Geruch an.
    Er führte Topsy durch das Tor mit dem Schmuck welker Blumen und die Hochstraße hinab. Auf der Veranda des Krämerladens, wo alte Männer sitzen sollten, die sich über die Ernte, Politik und die Torheit der jüngeren Generation unterhielten, stand nur eine Reihe einsamer Schaukelstühle. Unter einem lag, wie von einer unachtsamen (und längst dahingegangenen) Hand fallen gelassen, eine verkohlte Maiskolbenpfeife. Das Pferdegatter vor dem Wilden Schwein war gleichermaßen einsam und verlassen; die Fenster des Saloons selbst waren dunkel. Eine der Schwingtüren war abgerissen worden und lehnte an der Wand des Gebäudes; die andere hing schief in den Angeln; ihre verblaßten grünen Lamellen waren mit einer rostroten Substanz bespritzt, die Farbe sein konnte, aber wahrscheinlich keine war.
    Die Fassade des Pferdestalls war unversehrt wie das verwüstete Gesicht einer Frau, die Zugang zu guten Kosmetika hat, aber die Scheune dahinter war ein verkohltes Skelett. Das Feuer mußte an einem Regentag ausgebrochen sein, dachte der Revolvermann, sonst wäre die ganze verdammte Stadt in Flammen aufgegangen; eine große Kirmes und Volksbelustigung für alle, die es hätten sehen können.
    Rechts von Roland, auf halbem Weg zu der Stelle, wo die Straße in den Dorfplatz überging, lag die Kirche. Rasenbegrenzungen auf beiden Seiten trennten das Gelände der Kirche auf einer Seite von der Stadthalle ab, auf der anderen von dem kleinen Haus des Predigers und seiner Familie (das hieß, wenn er einer Jesus-Sekte angehörte, die ihren Schamanen erlaubte, Frauen und Kinder zu haben; einige Sekten, die eindeutig von Irren beherrscht wurden, verlangten wenigstens den Anschein eines Zölibats). Blumen standen in den Rasenstreifen, die zwar verdorrt aussahen, aber zum größten Teil nicht ganz abgestorben waren. Was immer hier geschehen war und die Stadt entvölkert hatte, war also vor nicht allzu langer Zeit geschehen. Vor einer Woche vielleicht. Höchstens zweien, angesichts der Hitze.
    Topsy nieste wieder - Ki-tscha! - und ließ müde den Kopf hängen.
    Der Revolvermann sah, was das Glockenläuten verursachte. Über dem Kreuz an der Kirchentür war eine Kordel in einem langen, durchhängenden Bogen befestigt worden. Schätzungsweise zwei Dutzend kleine silberne Glöckchen hingen daran. Heute ging kaum ein Lüftchen, dennoch reichte es aus, daß die Glöckchen nie ganz verstummten . . . und wenn richtiger Wind aufkam, dachte Roland, würde das Geräusch, das das Geklingel der Glöckchen erzeugte, längst nicht so angenehm sein; mehr wie das schrille Schnattern von Klatschbasen.
    »Hallo!« rief Roland und sah über die Straße, wo das große Schild einer falschen Fassade das Hotel Zum Guten Bett anpries. »Hallo, Stadt!«
    Niemand antwortete, außer den Glocken, den harmonischen Insekten und dem seltsamen Klopfen auf Holz. Keine Antwort, keine Bewegung . . . aber es waren Leute hier. Leute oder irgend etwas. Er wurde beobachtet. Die winzigen Härchen in seinem Nacken hatten sich aufgerichtet.
    Roland ging weiter, führte Topsy Richtung Stadtmitte und wirbelte bei jedem Schritt den Staub der unbefestigten Hochstraße auf. Nach vierzig Schritten blieb er vor einem flachen Gebäude stehen, dessen Tür ein einziges knappes Wort zierte: GESETZ. Das Büro des Sheriffs (falls sie so
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