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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Autoren: Karl May
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lerne ihn kennen! Er ist enthaltsam, gerecht, wahr, treu und tapfer. Hat man ihn betrogen und getäuscht, so verurteile man ihn nicht, wenn er Gleiches mit Gleichem vergilt. Treibt man ihn, ohne ihm Wort zu halten, aus einer Reservation in die andere, so wundere man sich nicht, daß er sich nicht zum heimatslosen »Ewigen Juden« geboren fühlt, sondern das kleine, ihm zugesagte Stückchen desjenigen Landes verteidigt, welches einst ihm ganz gehörte. Der Indianer liegt im Sterben, tausendfach verwundet und verletzt; sein Scheiden ist kein friedliches; sein Todeskampf ist vielmehr ein fürchterlicher. Das Feuerwasser, die Pocken und andre ähnliche Geschenke der Weißen haben seine Kräfte noch nicht zur Neige gebracht; er, der einstige Riese, ist noch stark genug, manchen Angreifenden im gewaltigen Todeskampfe zu erdrücken. Sein hartes Sterbebette ist das Felsengebirge, in dessen Schluchten und Kañons die letzten Kämpfe stattfinden werden. Er weiß, daß die Pueblos, Zuni, Queres und alle, welche sich ergeben haben, den langsamen, ehrlosen Tod des Verschmachtens, der Entartung gestorben sind oder noch sterben werden; er will sterben wie Held Roland, das Schwert in der Faust. Alle die sogenannten friedlichen Indianer verschwinden nach und nach, ohne ihren Namen und das Gedächtnis einer männlichen That zu hinterlassen; aber die Komanchen und Apachen im Süden und die Sioux im Norden werden, vertrieben aus ihren Savannen, sich in die Rocky Mountains zurückziehen und Schritt um Schritt im Blute ihrer Feinde waten, bis man den letzten von ihnen niederschlägt. Diese Kämpfe werden jahrhundertelang im Munde ferner Generationen fortleben, und um jeden Schädel, den der Pflug oder der Spaten des Landmanns aus der Erde stößt, wird die Sage ihr Gewebe spinnen, und die Urenkel der Sieger, gerechter als ihre Ahnen, werden dem erschlagenen Indsman ihre Teilnahme widmen und vielleicht auch – – die Konsequenzen dieses Totschlages zu tragen haben.
    Das ist meine Ansicht als Mensch und als – Deutscher. Was dieses letztere Wort sagen soll, braucht man nicht erst zu erklären, obgleich es nicht im mindesten eine ethische Ueberschätzung, eine gedankenlose Selbstgerechtigkeit ausdrücken soll.
    Während meines gezwungenen Aufenthaltes in Fort Cast war eine Soldatenabteilung nach Westen detachiert worden, um »Fleisch zu machen«. Sie hatte eine Schar Sioux vom Stamme der Tetongs angetroffen, welche bereits mit der Büffeljagd beschäftigt war. Nun gilt es als Savannengesetz, daß die Jagd dem gehört, der sie zuerst unternommen hat; anstatt aber weiter zu ziehen, hatten die Dragoner sofort Anspruch auf die Beute erhoben; es war zu einem Kampfe gekommen, und die Indianer hatten unter Zurücklassung zahlreicher Gefallenen den überlegenen Waffen der Feinde weichen müssen. Die Offiziere hatten sich gegen mich dieses Sieges mitten im Frieden und auf einem vollständig freien, neutralen Geriete höchlichst gerühmt, und es war mir nicht gelungen, ihnen eine andre, gerechtere Anschauung beizubringen. Es stand mit Gewißheit zu erwarten, daß die Sioux diesen Friedensbruch rächen würden, und darum hatte ich jetzt, als ich in meiner Nähe das Knicken eines Zweiges vernahm, alle Veranlassung, auf meiner Hut zu sein.
    Ich hielt die Augen scheinbar geschlossen, blickte aber unter den gesenkten Lidern scharf hinüber, wo das Geräusch sich hatte hören lassen. Die Bucht war hier höchstens zwanzig Fuß breit, und der jenseitige Rand des Gesträuches wurde von meinem Feuer hell erleuchtet. Man muß sehr scharfe, geübte Sinne besitzen, um in einer solchen Lage das Richtige zu treffen; oft aber thut der einfache Instinkt mehr als alle Schärfe der Wahrnehmungsorgane. Ich bemerkte, daß einige Zweige langsam beiseite geschoben wurden; zwei dunkelglühende Augen erschienen, schlossen sich aber sofort wieder. Der Mann da drüben war ein alter, erfahrener Krieger; er wußte, daß man des Abends das Leuchten zweier Indianeraugen recht gut bemerken kann, und ließ die seinigen also nur auf einen Moment aufblitzen. Ich sah ihren Glanz fünf-oder sechsmal erscheinen, dann erhielten die zur Seite geschobenen Zweige ihre ursprüngliche Lage wieder: der Mann hatte sich überzeugt, daß ich allein sei.
    Ich hatte nur die Augen, nicht aber das Gesicht gesehen, ich wußte also nicht, ob er sich mit den Kriegsfarben bemalt hatte, ob er sich in friedlicher oder feindlicher Absicht hier befand. Jedenfalls war es geraten, das Schlimmere anzunehmen.
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