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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Autoren: Karl May
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Pferden? Wie erreichen wir Kirmanschah? Wir sind noch nie hier gewesen und kennen keinen Weg dorthin!«
    »Darüber brauchst Du Dir keine Sorge zu machen. Man braucht, um sich in einer Gegend zurecht zu finden, sie nicht vorher gesehen zu haben. Du weißt, daß ich einen Ortssinn besitze, der sich nur selten irrt, und hier gibt es glücklicherweise keine Urwälder, in denen man die Richtung verfehlt, weil man vor lauter Bäumen weder den Himmel noch etwas anderes sehen kann. Wenn mich nicht alles täuscht, so kommen wir hier hinauf nach einer Hochebene, jenseits welcher es wieder hinab nach einem Nebenflüßchen des Kara-su geht; dann müssen wir quer über eine Hügelkette, hinter der wir auf dieses Wasser selbst kommen. Ihm brauchen wir nur zu folgen, weil Kirmanschah an seinen Ufern liegt.«
    »Wann werden wir diese Stadt erreichen?«
    »Nicht eher als morgen früh. Wir müssen im Freien Lager machen.«
    »Das ist mir gleichgültig, wenn wir nur etwas finden, was wir essen können. Ich habe viel Hunger und noch mehr Durst.«
    Der letztere wurde bald gestillt, weil es hier überall fließendes Wasser gab, und später glückte es uns, eine wilde Ziege zu erlegen, von deren Fleisch wir eine ganze Woche hätten leben können. Auch erwies sich meine Vorhersagung in betreff des einzuschlagenden Weges als richtig. Wir erreichten den Kara-su und machten, als es zu dunkeln begann, in seiner Nähe Halt und zündeten ein Feuer an, über welchem die besten Stücke der Ziege gebraten wurden.
    Es versteht sich ganz von selbst, daß unsere Pferde das Hauptthema unseres Gespräches bildeten. Halef war besorgter um sie als ich; es gelang mir aber, ihn leidlich zu beruhigen. Dann kam er auf meine letzte Rede mit der Nezaneh.
    »Sihdi, Deine Worte sind mir unbegreiflich gewesen,« sagte er. »Es klang geradeso, als wüßtest Du, daß ihr Sohn und ihr Enkel gewiß errettet werden; woher aber könntest Du das wissen?«
    »Ich wußte und weiß auch jetzt gar nichts, doch bin ich zuweilen ein ganz eigentümlicher Mensch, lieber Halef. Es ist, als ob mir Worte, die ich eigentlich gar nicht sagen will, in den Mund gelegt würden, als ob ein zweites Wesen in mir wohne, welches zukünftige Dinge voraussieht und mich anleitet, mich danach zu verhalten. Ich habe nicht den geringsten Anhaltspunkt dazu; aber wenn ich jetzt sagen sollte, ob die Kinder der Nezaneh gerettet oder hingerichtet werden, so würde ich nicht nur sagen, sondern sogar behaupten, daß sie frei sein werden, und zwar sehr bald.«
    »Du bist ein Liebling Allahs. Vielleicht hat er Dir einen guten Dschimi el Himajet 33 zugesellt, der Dir das alles sagt und Deine Worte und Deine Thaten lenkt. Ich wollte, ich hätte auch einen oder zwei!«
    »Dieser Dein Wunsch ist bereits erfüllt; denn jeder gute Mensch, der sich nicht mit Gewalt von Gott entfernen will, steht in der Hand des Herrn der Heerscharen, der seine Boten sendet, ihre Flügel über ihn auszubreiten. Laß uns zu ihm beten, ehe wir schlafen gehen.«
    »Wachen wir abwechselnd?«
    »Nein. Ich fühle über mir den Schutz des Himmels. Das ist auch so ein unerklärbares Sehen, Hören und Wissen des Herzens, welches vielleicht noch untrüglicher ist als das Sehen und Hören mit den Sinnen des Körpers. Gute Nacht, lieber Halef!«
    »Gute Nacht, mein lieber Sihdi! Weißt Du, Du hast Zeiten, wo jedes Wort von Dir eine Predigt ist. Wenn doch alle Menschen Deinen festen, unerschütterlichen Glauben hätten, dann wären sie auch so glücklich wie ich durch ihn geworden bin!«
    Wir schliefen ein und schliefen trotz der nächtlichen Kälte fest und ungestört, bis uns der Morgen weckte. Dann aßen wir wieder und ritten hierauf den Fluß hinab nach Kirmanschah, welches wir nach wenig über einer Stunde auf seinen Hügeln vor uns liegen sahen. Diese Stadt ist eine höchst interessante; ich enthalte mich hier trotzdem aller topographischen Bemerkungen, weil ich sie gelegentlich eines anderen Besuches ausführlicher beschreibe, als es hier möglich ist. 34
    Es sah nicht bloß im Innern der Stadt, sondern schon vor ihren Mauern, wo Militär exerzierte, sehr kriegerisch aus. Wir erfuhren auch bald die Veranlassung: Der Schah war wieder einmal auf den Gedanken gekommen, von dem Sultan Bagdad zurückzuverlangen, und unterstützte diese aussichtslose Forderung durch militärische Vorbereitungen, welche freilich das Schicksal hatten, eben nur Vorbereitungen zu bleiben. Ich erkundigte mich bei einem Wekilbaschi, 35 wer augenblicklich der
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