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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Autoren: Karl May
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Wenn Euch gar nichts fehlt von dem, was Euch gehörte, werdet Ihr um so williger und besser zahlen; so denken wir.«
    »Maschallah!« rief da der Hadschi. »Wir sollen unsere eigenen Sachen kaufen und die Pferde ersetzen, welche man uns gestohlen hat! Eine solche Verrücktheit ist – –«
    »Schweig’!« unterbrach ihn die Nezaneh. »Du hast hier nichts zu sagen; ich spreche nicht mit Dir, sondern nur mit Kara Ben Nemsi Effendi!«
    Und wieder zu mir gewendet, fuhr sie fort:
    »Ich habe noch einmal über alles nachgedacht, was wir gestern miteinander gesprochen haben. Deine Worte haben mein Herz berührt wie ein Schlüssel, welcher die Thüre zu einer lichten, schönen Wohnung der Seligen öffnet. Ich wünsche, viele Fragen an Dich zu thun, welche Du mir beantworten wirst. Wir haben ja viel Zeit dazu; denn es wird lange dauern, bis die Boten zurückkehren, welche ich senden werde, um Euer Geld zu holen.«
    Das klang so naiv, so selbstverständlich, daß ich mit lustigem Lachen fragte: »Wo sollen sie es holen?«
    »Wo Du willst; denn nur Du kannst wissen, woher Du es bekommen wirst. Besäßen wir Eure Pferde noch, so würden wir weniger von Euch fordern. Ich will Dir sagen, daß der Gebieter von Kirmanschah ein Feind unseres Stammes ist, weil er mich haßt. Sein Harem hat mich einst schwer beleidigt und bekommt daher den ›Weg zur Schönheit‹ nicht mehr von mir. Er hat mir aus diesem Grunde Rache geschworen und meinen Sohn Kelat und meinen Enkel Scherga weggefangen und unter die Soldaten gesteckt. Beide sind freie Ihlauts und haben sich geweigert, die Sklavendienste zu thun, zu denen man sie verurteilt hat. Dieser Widerstand hat seinen Grimm erregt. Er ließ durch Zeugen, die er ja bekommen kann, sobald er will, beweisen, daß sie Babis sind und ihm nach dem Leben trachten. Er ist nach Teheran gereist, um dort das Fest Nu Rose 32 zu begehen, und sie sind ihm nachtransportiert worden, weil dieses Fest durch das Schauspiel ihrer Hinrichtung verherrlicht werden soll. Das hat mir der Anführer der Truppen gesagt, welcher auf seinen Befehl heute zu uns kam, um uns die besten Pferde wegzunehmen. Meine Kinder sind verloren, und ich kann sie nicht retten. Ihr Tod wird ein schrecklicher sein; denn die Babis pflegt man auf die Weise zu töten, daß man ihnen Löcher in den Leib schneidet, in welche brennende Lichter gesteckt werden. Oh Emir, wüßtest Du, was eine Mutter dabei fühlt!«
    Sie vergrub das Gesicht in beide Hände und weinte, weinte laut und bitterlich. Dann ließ sie die Hände plötzlich wieder sinken, warf mir einen halb irren Blick durch Thränen zu und fragte in rauhem Tone:
    »Was sagst Du als Christ dazu? Ist Euer Gott auch so grausam wie der Gott, den der Islam lehrt?«
    »Es gibt nur einen Gott, den Gott der ewigen Liebe und Barmherzigkeit; der Islam aber kennt diese Liebe nicht; ihn klage an, nicht Gott!« antwortete ich.
    »Aber Gott gibt es doch zu, daß meine Söhne unschuldig hingemartert werden! Ist das Liebe und Barmherzigkeit von ihm? Ist das Gerechtigkeit?«
    »Hadere nicht mit dem Allmächtigen und Allweisen! Er weiß, weshalb er Dir diese Last zu tragen gibt, und wenn es sein Ratschluß will und Du ihn darum bittest, so werden Deine Kinder gerettet werden.«
    »Bitten soll ich? Beten?«
    »Ja, beten! Auf den Stufen des Gebetes steige himmelan, so kommt Dir Gott auf den Stufen der Erhörung entgegen. Bete also, bete! Schilt nicht auf seine Ungerechtigkeit, solange Du selbst ungerecht gegen andere Menschen bist!«
    »Ungerecht? Gegen wen? Ich weiß nichts davon!«
    »Nicht? Wirklich nicht? Bist Du es nicht gegen uns? Was haben wir Dir gethan, daß wir hier als Gefangene vor Dir stehen? Womit haben wir das verdient? Handelst Du etwa gerecht an uns?«
    Da ging ein eigentümliches Leuchten über ihr Gesicht. Sie stand auf, that einige Schritte auf mich zu und sagte, indem sie mir mit Spannung ins Gesicht sah:
    »Jetzt sollst Du Dich als Christ zeigen und Deinen Glauben verteidigen. Sag’ also: Warum gibt es Dein Gott der Liebe zu, daß wir diese Ungerechtigkeit gegen Euch begehen?«
    »Vielleicht um Deinetwillen. Du sollst ihn durch uns kennen lernen und dann an ihn glauben. Wenn er will und ich ihn darum bitte, so sind wir frei, sobald es uns gefällt!«
    »Das glaubst Du wirklich, bist davon überzeugt?«
    »Ja, vollständig überzeugt!«
    »So beweise es, daß Ihr frei seid, sobald es Euch gefällt! Gib mir diesen Beweis, oh gib mir ihn, damit ich dann an Deinen Gott der Liebe, der
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