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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher
Autoren: Diccon Bewes
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dem Verkehrswesen zu tun haben. Zürich und Genf
mögen selbst nach Schweizer Maßstab teuer sein, aber sie schaffen es in der
Mercer-Studie regelmäßig unter die Top 5 der Städte mit der
höchsten Lebensqualität. Bei einer Bevölkerung von unter einer halben Million
haben sie natürlich keine mit Berlin oder Chicago vergleichbaren Probleme, aber
selbst wenn sie die hätten, würden sie, wie man die Schweizer kennt, bald eine
Lösung dafür finden.
    Die Schweiz wurde trotz und wegen ihrer geografischen Barrieren zu dem Land, das sie
heute ist. Die Berge sind der Grund, warum sie als Zusammenschluss
verschiedener Kantone heranwuchs, und sie sind schuld daran, dass diese Kantone
überlebten und gediehen. Die nächsten Kapitel werden zeigen, wie diese
dezentralisierte geografische Struktur die geschichtliche und politische
Entwicklung der Schweiz im Lauf der Jahrhunderte geprägt hat. Die Landschaft
und vor allem das Wetter bedeuteten außerdem, dass die Schweizer von jeher
alles sehr umsichtig anpacken mussten. Den Winter zu überstehen erforderte
Planung und Besonnenheit, und der Mangel an Bodenschätzen musste mit
Einfallsreichtum und Aufmerksamkeit fürs Detail ausgeglichen werden – viele
Schweizer zeichnen sich noch heute durch diese Eigenschaften aus.
    Durch die Berge abgeschnitten vom Rest der Welt, hat
sich die Schweiz im Lauf der Geschichte oft wie eine Insel verhalten – und ihre
Nachbarländer ausgeblendet. Oder wenigstens hatte sie
das vor. Aber so wie Großbritannien zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellten
die Schweizer Anfang des 21.
fest: Kein Land ist eine Insel. Umzingelt von der EU ,
konfrontiert mit einem globalen Markt, bauen die Schweizer langsam und teils
widerstrebend Brücken zur Außenwelt. Aber seelisch und geistig werden sie immer
Binneninsulaner bleiben.

✚
    Survival-Tipp
Nummer 1
    Grüezi miteinand – Begrüßung und Kennenlernen
    Ein
Apéro
, also e ine
Cocktailparty, ist der ideale Ort, um Schweizer kennenzulernen – nicht, dass
sie ein Glas Wein bräuchten, um sich zu entspannen, sondern weil diese typisch
schweizerische Allzweckveranstaltung zu jeder sich bietenden Gelegenheit
stattfindet. Ein Kollege verlässt die Firma? Geben wir einen
Apéro
. Ein Abendessen nach allen Regeln
der Kunst ist zu aufwendig? Dann machen wir doch einen Stehempfang, einen
Apéro
. Dabei kann ganz schlicht etwas Alkoholhaltiges mit
Knabberzeug serviert werden, meist aber gibt es Fingerfood, schmackhafte
Mini-Quiches, Schälchen mit Kürbissuppe und dergleichen. Im Supermarkt kann man
Käse- oder Wurstplatten besorgen, der Partyservice liefert ein geeignetes
kaltes Büfett für jeden Anlass, und Nobelhotels tischen Gourmethappen auf. Denn
der
Apéro
soll in der Schweiz etwas hermachen. Und sobald Sie „an den
Apéro
“ kommen, sorgt ein
typisch Schweizer Brauch dafür, dass Kennenlernen kein Problem ist, solange Sie
sich an die Regeln halten.
    Beim
Apéro
können Sie sich nämlich leicht
innerhalb weniger Minuten blamieren. Denn wenn Sie den Raum betreten, ist der
Augenblick der Wahrheit gekommen. Es geht dabei nicht um den Dresscode, der in
der Schweiz keine große Rolle spielt, oder um Unpünktlichkeit, dafür reicht
eine schlichte Entschuldigung. Es geht ausschließlich ums Hallosagen. Bei jeder
Zusammenkunft in der Schweiz ist es die erste Pflicht des Gastes, die Runde zu
machen und jeden zu begrüßen. Angesichts einer Ansammlung von Menschen, von
denen Sie die meisten noch nie gesehen haben, könnten Sie versucht sein, in
einer Ecke zu lauern, bis Sie jemanden entdecken, den Sie kennen, oder darauf
warten, dass der Gastgeber Sie vorstellt. Keine gute Idee. Was Sie als
Allererstes tun sollten, und zwar noch bevor Sie sich etwas zu trinken holen,
ist, sich mit allen bekannt zu machen, egal wie lang das dauert.
    Mit ausgestreckter Hand, den eigenen
Namen auf den Lippen, auf andere zuzugehen wirkt so vorlaut, so amerikanisch.
Und ganz unschweizerisch. Aber das hat nichts mit Aufdringlichkeit zu tun, es
ist eine Frage der Höflichkeit. Wie ungehobelt wäre es, sich mit jemandem in
einem Raum aufzuhalten, dessen Namen man nicht kennt. Auch wenn Sie den Rest
des Abends nicht mehr mit Stefan oder Frau Weber sprechen sollten, wenigstens
haben Sie sich korrekt verhalten und sich vorgestellt. Dieser Brauch ist wohl der
wahre Grund, warum Schweizer meist so pünktlich sind.
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