Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Germanen noch ihren süßen Met brauten, brannte man im Fernen Osten schon die wunderbarsten Obstschnäpse und Liköre.
    Einen Hauch dieses Jahrtausende alten, immer noch geheimnisvollen Chinas, das auch heute noch so viele Rätsel aufgibt und die Europäer das Staunen lehrt, spürt man, wenn man sich durch die engen Straßen der Altstadt von Kunming drängt, mitgerissen vom Strom der unendlichen Menschenmenge, umgaukelt von Stimmengewirr und miteinander verschmelzenden Gerüchen.
    Genau das wollte Evans erleben. Darauf freute er sich. Wer einmal in Peking oder Shanghai übernachtet hat und sagt, er kenne China, der ist ein Narr. Noch weniger weiß er von diesem grandiosen Land, wenn er zum Shopping in Hongkong gewesen ist. China, das Land mit der 4.000jährigen Kultur, wird kein Westmensch jemals begreifen.
    Pünktlich um neun Uhr kam, wie verabredet, der vom Reisebüro CITS mit der Betreuung des besonders empfohlenen Gastes Evans betraute Fremdenführer in das Hotel ›Goldener Drache‹. Aber Evans wartete nicht in der großen Eingangshalle, saß auch nicht unter der Lichtkuppel des Cafés oder im angrenzenden Frühstücksraum, doch an so etwas war der Fremdenführer gewöhnt. Eine ›Langnase‹, wie man einen Westler in China nennt, kommt entweder zu früh oder zu spät, da wundert sich keiner mehr. Noch weniger nimmt man es ihm übel – Höflichkeit ist ein Grundpfeiler der chinesischen Kultur. Aber als Evans nach einer halben Stunde immer noch nicht aufgetaucht war, ging der Mann vom Reisebüro hinüber zur Rezeption und fragte nach ihm.
    Der Chefportier Guo Hongbin, der natürlich jeden Reiseleiter und Dolmetscher des staatlichen Reisebüros kannte, setzte eine geheimnisvolle Miene auf. Aha, dachte Shen Geping, der Fremdenführer. Er hat ein Hürchen auf dem Zimmer. Schweigen wir, seien wir großzügig, drücken wir die Augen zu wie Hongbin, der auch nichts gesehen hat. Ein biegsames, glatthäutiges Körperchen ist natürlich wichtiger als Long Men, das Drachentor, oder Qiong Zhu Si, der Bambustempel.
    Aber überraschenderweise sagte Guo Hongbin: »Mr. Evans hat eine Besprechung. Ich kann ihn nicht stören. Ding Zhitong ist bei ihm …«
    »Ding Zhitong?« Shen Geping starrte den Chefportier verwundert an. »Was hat Mr. Evans ihm zu erzählen?«
    »Wie soll ich das wissen? Ding hat verlangt, daß ich ihn aus dem Frühstücksraum hole. Jetzt sitzen sie in der leeren Bar.«
    »Etwas Amtliches?«
    »Deine Fragen wehen gegen den Wind. Geh hin zu ihnen und sage: ›Ihr ehrenwerten Herren, ich verzehre mich in Neugier: Was habt ihr da zu flüstern?‹«
    Shen verzog das Gesicht, als habe er Essig getrunken, bedankte sich höflich, ging zurück in die Halle und setzte sich auf eines der Sofas, die in den Nischen standen.
    Was will Ding Zhitong von einem Engländer, der gestern nach Kunming gekommen ist und noch nie in China war? Shen kannte Ding seit langem … Ding war Polizeikommissar, einer von der geheimen Sektion, die sich nur mit Sonderfällen befaßte. Mit Mord, mit Rauschgifthandel, mit Bandenverbrechen … Was hatte Mr. Evans damit zu tun? War Evans gar kein Fabrikant aus Birmingham? War er in einer besonderen Mission nach China gekommen und tarnte sich als biederer Geschäftsmann?
    Shen Geping spürte eine innere Unruhe in sich. Soll ich mein Büro anrufen, dachte er, und von dem geheimnisvollen Treffen erzählen? Wenn Ding Zhitong sich mit einem unserer Gäste beschäftigt, dann sollte man wachsam sein und möglichst zehn Ohren besitzen. Gerade weil es Ding ist, der erfolgreichste Verbrecherjäger von Kunming … Man kann kaum mehr zählen, wie viele Gauner er in den letzten Jahren zum Hinrichtungskommando geführt hat. Aber dann sagte Shen sich, daß es klüger sei, nichts zusehen und nichts zu hören und nichts zu sprechen wie die drei berühmten Affen. Halte es mit der alten chinesischen Volksweisheit: Was das Auge nicht sieht, darüber ärgert sich das Herz nicht … Nicht mit mir spricht Ding, sondern mit Mr. Evans. Warten wir also, bis das Gespräch zu Ende ist. Geduld ist die Zierde des Weisen.
    Dann verließ Polizeikommissar Ding das Hotel. Als er an Shen Geping vorbeiging, glaubte Shen, in Dings Gesicht große Nachdenklichkeit zu erkennen. Auch Evans, der wenig später aus der Bar in die Halle kam, schien ein wenig betroffen zu sein. Er blieb mitten im Foyer stehen und sah sich suchend nach seinem Reiseleiter um. Da stimmt etwas nicht, sagte sich Shen und sprang auf. So sieht kein Mann aus, der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher