Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman
Autoren: Franz Tumler
Vom Netzwerk:
Flüchtlinge im Heu wagten sich nicht so bald hervor ans Licht.
    Einmal erschraken sie sehr. Da kam Kolja mit mehreren, mit einem halben Dutzend Leuten herangesprengt, und nicht zu Unrecht fürchteten die beiden, daß der Trupp es darauf abgesehen habe, das Haus durchzustöbern und durchzuplündern. Sie krochen in die Scheune und gruben sich tiefer ein in ihrem Heustock, aber das hätte ihnen kaum genützt, wenn Kolja an dem Nachmittag nicht wirklich ganz betrunken gewesen wäre. In diesem Zustand überhaupt nur war er auf den Gedanken gekommen, mit seiner Rotte hier aufzutreten – wenn die Frau ihn nicht wollte, gut, so sollte sie es bleiben lassen, aber dann wollte er ihr wenigstens zeigen, daß er Macht besaß, er und seine Rotte, über solch ein Haus. Er hielt sich diesmal auch nicht unter dem Nußbaum auf, er trieb seine Leute in das Haus, und dort in der Stube stellte er sich auf und grölte: Kosanna! und befahl ihr, zu essen und zu trinken zu bringen, Eier, Schnaps, Fleisch! Und als die Frau sagte, das könne sie nicht, fuchtelte er ihr mit der Pistole vor der Nase herum. Warum können Sie nicht? schrie er. Susanna antwortete: Weil mir das alles nicht gehört! Kolja schrie: Dann werden wir es nehmen! Susanna sagte: Sie können es nicht nehmen, Kolja, Sie sind gut. Wer gut ist, kann nicht einfach nehmen!
    Es wurde ein langwieriges Gespräch, mühsames Hin und Her, zwischen ihr und ihm und zwischen ihr und den anderen, die ihren Leutnant Kolja ja wohl beschwichtigten, wenn er durch die Tür in die Küche schießen wollte, die ihm aber auch Gehorsam schuldeten, und vor denen umgekehrt er seine Macht beweisen wollte. Sollte es dieser Frau, die wie ein kindliches, hochmütiges, kleines Geisterwesen gegen ihn plapperte und eiferte und glühte, denn wirklich gelingen, ihn davon abzuhalten, sich hier zu nehmen, was ihm gefiel? Bemelman war mit seinem Weib auf dem Feld, ihm gehörte das alles hier, Eier, Schnaps, Fleisch, er würde vielleicht gern etwas hergeben davon, wenn man ihn darum bat? Dahin brachte Susanna es endlich:
    Ich will ihn bitten, daß ich Ihnen etwas geben darf. Natürlich können Sie es sich auch nehmen. Aber besser ist es doch, wir fragen?
    Wozu fragen?
    Weil man nicht nehmen darf!
    Und warum nicht nehmen?
    Ich habe es schon gesagt: wer gut ist, darf nicht nehmen!
    Und warum willst du, daß wir gut sind?
    Alle blickten auf sie. Sie hatte sich emporgeeifert, beinahe über ihre Kräfte, aber nun sah sie: diese Eroberer – Leute aus einem fremden Land –, und sie dachte, aus einem Land, in dem noch die Bäume sprechen und die Menschen ihre Namen wechseln, als wäre jeder zugleich ein anderer – diese Leute waren erpicht auf dergleichen Unterscheidungen und besaßen Sinn dafür. Selbst der betrunkene Kolja begriff plötzlich etwas. Kosanna, sagte er aufmerksam und mit trauriger Stimme, was ist nun besser für Sie, nehmen wir einfach, dann haben wir genommen, dann geht es Sie nichts an. Dann können Sie doch jammern mit Ihrem Bauern! Aber wenn Sie ihn erst fragen, und für uns …
    Susanna sah in seine Milchaugen, sie sah den schmierigen Schweiß auf seinen weißen Brauen. Ja, Kolja, für euch, sagte sie, für euch will ich ihn fragen!
    Sie konnte abschätzen, was sie sich damit auflud. Ihretwegen ritt dieser Kolja täglich herauf und machte sich auf dem Hof breit mit seiner ausschweifenden Stummheit, als käme er vom Ende der Welt, und nun brachte er auch seine Leute mit! Da mochten sich der Bauer und die Bäuerin sagen: wer zog einem die denn auf den Hals; und wenn sie sich nun gar dazu hergab, daß sie fragte für diese Leute …
    Aber sie mußte es doch tun!
    Sie wandte sich zum Gehen. Warum? fragte Kolja und sah sie an. Sie nickte ihm zu.
    Ein wenig atemlos kam sie eine Weile später vom Feld zurück und trat auf den Weg. Bemelman sah ihr nach und sagte zu seinem Weib: Lieber soll sie weg, wenn das so anfängt, daß sie auch hier bei uns keine Ruhe hat. Da hat sie es ja bei uns nicht besser als im Dorf. Wenn sich doch der Herr von Wilnow annehmen könnte um sie.
    Die Bäuerin sagte: Wie soll sich der um sie annehmen? Und du hast sie doch nur genommen, weil er dich gebeten hat!
    Weil ich kein Unmensch bin, sagte der Bauer verdrossen.
    Die beiden arbeiteten stumm weiter. Aber auch ihre Gedanken arbeiteten weiter. Als der Bauer den Wiesbaum niederseilte, trat die Bäuerin auf ihn zu und sagte: Und die zwei im Heu – an die denkst du gar nicht. Wenn die Soldaten nun öfter kommen, und wenn sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher