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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman
Autoren: Franz Tumler
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langweilte sich nicht, aber sie hatte Sorgen. Das ging so sonderbar durcheinander in ihr, so wie die Laubschatten und Lichtflecken auf ihrer Haut spielten. Daß Kolja nicht kam, langweilte sie; andererseits war sie froh, Bemelmans wegen, daß er ausblieb, und dazwischen saß ihr der Schatten Sorge dichter am Herzen, aber nicht Sorge, in welches Quartier sie sollte. Die beiden Flüchtlinge spähten argwöhnisch um die Ecke, es kam ihnen verdächtig vor, daß es an dem Nachmittag so ruhig blieb, endlich wagten sie sich vor und wuschen sich am Brunnen. Da mußte Susanna es plötzlich wieder sehen: das leere Blatt, die Ziffern verwischt von Sonnenblendung und Langeweile; aber nun waren die Flüchtlinge da, und sie dachte, ob Jorhan auch so irgendwo lag, versteckt oder unterwegs – und ob noch weit weg, so daß es noch Monate dauern konnte, bis er kam? und das war ihre Sorge. Oder vielleicht war er schon nahe, vielleicht schon drüben in der Stadt? Aber da müßte er doch trachten, Nachricht zu schicken, gewiß würde da bald Nachricht von ihm kommen! Als sie dachte: oder noch weit weg, – fröstelte sie, als wäre trotz dem warmen Lufthauch nur Schatten unter dem Baum. Sie dachte: Tot ist er nicht, das hätte ich gespürt – das spürt man ja, wenn jemand tot ist!
    Und dann kam der Abend. Frühe Dunkelheit, weil Mitte August schon, und die Bauersleute waren längst zu Bett gestiegen in ihrer Kammer oberhalb der Falltür, und auch Susanna lag schon, wie sie es gewöhnt war, in der Stube auf ihrer Matratze. Sie hatte ihren kleinen Sohn neben sich, der schlief. Sie hatte die Petroleumlampe noch brennen, und ihre Gedanken wanderten in der Zeit zurück: wie es angefangen hatte, dachte sie, Axel von seinem Gut vertrieben, aber nun erinnerte sie sich auch an das Frühere und erinnerte sich gern, weil er es war; es kam ihr nur sonderbar vor, daß sie nicht schon immer zusammengewesen waren. Gekannt hatte sie ihn ja längst, eben so, wie man jemand kennt im Dorf, zuletzt waren sie sogar befreundet gewesen, aber damals erst, als er bei ihr Zuflucht gesucht und elend nicht mehr weiter gewußt hatte, da erst hatte es angefangen.
    Sie lag still, vom Tag weggehoben, allein mit der Lampe, die leise sausend das Öl zu Licht verzehrte, der kleine Schein schloß sie ein und entfernte die nahen Bilder und zeigte ihr das sonst Verborgene: Ahnung, Gefühl, Klarheit, unendlichen Zusammenhang. Sie dachte: ein reines, gelbes, heißes Licht, und es saust in ihm – auf einmal kam es ihr vor, als könne sie auf sich selber nun zurücksehen, auf ihr früheres Leben. Was bin ich immer gewesen, dachte sie, und sie sah eine Frau, die ihr ganz fremd war. Was war das: Phantasie und Leere, und immer Suchen und Unzufriedenheit, sorgfältig verborgen. Sie erblickte es unbarmherzig an sich in all den vergangenen Jahren: die immer neue, unalltägliche Frisur, die hübschen frischen Kleider, das geschäftige Gehaben, Freizügigkeit und Geschick, alles freundliche Täuschung, als wäre sie mit einem Mann in einem Haus und als wäre nicht lauter Unruhe in ihr Tag und Nacht; und sie dachte: es war alles gefälscht, und heute kann ich unterscheiden, worin: ich bin eine Frau niemals geworden, bei Jorhan nicht und bei keinem anderen Mann, der mir begegnet ist. Aus diesem Stoff war ich, trotz Frisur und Gehaben und Haus, aus einem durchlässigen Stoff, aus Widerstandslosigkeit. Ich hatte ein mitleidiges Herz und Teilnahme und war entzückt darüber, und immer dann, wenn ich gespürt habe, hier ist jemand, der mich braucht, mußte ich ihm helfen, und helfen konnte ich ihm, indem ich mich hingegeben habe. Aber ich habe es doch auch wirklich machen und haben wollen, und deshalb ist für mich mehr Schlimmes als Gutes dabei gewesen, es hat mich hingenommen immer, und immer doch unzufrieden gelassen, – ach, daß mir das nie jemand hat glauben wollen, für mich war es nicht Ehe und nicht Widerstandslosigkeit, für mich war Mitleid zu Liebe umgefälscht und Hingabe zu Mitleid, für mich war beides gleich schlimm, weil beides nicht ehrlich, weil eben auch dieses Mitleid nicht ehrlich war, weil ich hinter dem Mitleid nur versteckt habe, was ich eigentlich wollte. Und darum war immer Betrug dabei und Lüge; das haben die anderen so deutlich nicht gemerkt, aber geglaubt haben sie mir auch nicht!
    Zum ersten Mal sah sie genau dieses Wesen, das sie selbst war. Aber nun hatte sie es abgetan, nun konnte sie daran denken wie an eine vergangene Person, diese Frau bin ich nicht
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