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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale
Autoren: Ingrid Law
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übrigen Gästen im Licht der Sommerabendsonne saß, zuckte ich zusammen, sobald nur ein Zweig knackte oder ein Insekt vorbeisummte. Wenn ich nicht gerade die Braut ansah, scannte ich den Rand der Waldwiese mit den Augen ab oder drehte mich um und spähte auf der Suche nach dem verräterischen Glitzern neugieriger grüner Augen über die Köpfe der Leute hinweg.
    »Ledger! Hör auf so rumzuzappeln«, zischte mir Mom ins Ohr. Ich rutschte unbehaglich auf meinem Platz herum und begann allmählich zu spüren, welche Körperteile bei meinem Sturz vor Willies Schnäppchenmarkt in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Wäre ich nicht so beunruhigt gewesen wegen Sarah Jane, der Schnüfflerin, wäre ich vielleicht eingenickt wie Opa Bomba, der inmitten des Meeres aus Plastikstühlen auf einem bunten Polstersessel saß.
    »Ist gleich vorbei, Ledge«, hauchte Mom. Und mit einem rasch aufblitzenden Schimmerlächeln fügte sie hinzu: »Bleib noch zwanzig Minuten still sitzen, danach kannst du rumlaufen und machen, was du willst.« Die mit Fristen verbundenen Befehle waren schon immer die schlimmsten gewesen; je genauer Mom formulierte, desto schwerer konnte man sie ignorieren.
    Ich saß fest. Stierte immerzu geradeaus wie eine Statue. Erstarrt in einer Schimmer-bedingten Auszeit, die weder meine Laune besserte noch meine Nervosität abstellte. Derart an Ort und Stelle festgenagelt spürte ich vielmehr, dass mein eigener Schimmer sich langsam aufbaute und mich in den Wahnsinn zu treiben drohte wie ein juckender Fuß in einem Winterstiefel.
    Nach den »Ja, ich will«s, aber vor dem »Sie dürfen die Braut jetzt küssen« erhob sich Fishs jüngere Schwester Gypsy vor den Versammelten. Gypsy Beaumont hatte sich kein Stück verändert, seit ich sie drei Jahre zuvor beim dreizehnten Geburtstag ihres Bruders Samson gesehen hatte. Sie war jetzt fast dreizehn, sah aber immer noch aus wie eine Puppe meiner Schwester, wenn sie sechs Monate damit gespielt und sie durch ihre Fantasiewelt gezerrt hat: zerzauste Locken, die oben auf dem Kopf zu einem rattennestartigen Wirrwarr zusammengebauscht waren, rosa Wangen und keine Schuhe mehr an den Füßen.
    Gypsy ging leichtfüßig mit einem alten Glas mit Schraubverschluss im Arm zu einem der Wacholderstümpfe; das scharfe Rispengras und die piksenden Kiefernnadeln unter ihren Sohlen schien sie überhaupt nicht zu spüren.
    Ich erkannte das Glas wieder, das Gypsy neben die im Zeitraffer blühenden Blumen stellte. Von meinem Platz aus konnte ich das uralte, rot-gelbe, ausgeblichene Peter-Pan-Erdnussbutter -Etikett gut sehen. Es musste das älteste Glas Erdnussbutter sein, das es gab, und in diesem Glas befand sich etwas weitaus Interessanteres als ein Mus aus gemahlenen Erdnüssen. Es war eins von Oma Dollops Einmachgläsern, und zwar genau das, welches sie und Opa auch schon bei ihrer eigenen Hochzeit verwendet hatten – praktisch ein Familienerbstück.
    Gypsy lockerte den weißen Metalldeckel. Sofort drang Musik aus dem Inneren hervor. Trompeten, Geigen und was weiß ich noch alles erfüllten die Lichtung, begleitet vom Knistern und Rauschen einer fünfzig Jahre alten Rundfunkübertragung. Jede einzelne Note war in diesem Einmachglas gefangen gewesen, aus der Luft gepflückt von unserer Oma Dollop und dann eingemacht, wie andere Großmütter vielleicht grüne Bohnen einwecken. Nur Oma Dollop hatte gewusst, wie sie mit ihrem Schimmer Musik in Gläsern festhalten konnte, aber wir konnten sie nicht fragen, denn sie war nicht mehr da.
    Was Sarah Jane wohl von Oma Dollops Einmachglas halten würde?, ging es mir durch den Kopf. Ich versuchte mich umzudrehen, um erneut Ausschau nach ihr zu halten, bis mir wieder einfiel, dass ich noch für weitere zehn Minuten zu Stein erstarrt war. Das Einzige, was ich sehen konnte, waren die Zeremonie vor mir, die Bäume, die Wacholderstümpfe und Opa Bomba, der wieder aufgewacht war und mit seinem Kopf im Takt der Musik wackelte.
    Während das eingemachte Orchester weiterspielte und ich vor mich hin schmorte, drehte sich vor mir eine Frau mit blumengeschmücktem Schlapphut um. Großtante Jules hatte kleine Blinzelaugen und unheimlich dicke Arme. Ihr Uhrarmband saß so fest an ihrem Handgelenk, dass es aussah wie der Knoten bei einem dieser Luftballontiere.
    »Das mit dem Hochzeitsglas meiner Schwester ist ja so eine hübsche Tradition! Wie viele von uns haben es nicht schon verwendet. Ich kann es gar nicht erwarten, bis meine Enkel danach fragen.« Sie betupfte ihre
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