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Der Scheich

Titel: Der Scheich
Autoren: Edith Maude Hull
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Spätabends war er ins Lager geritten. Nachdem Gaston ihn verlassen hatte, ging sie zu ihm, die Wangen vom Schlaf gerötet, die Augen verschleiert, und er zog sie auf seine Knie. Er drängte ihr einen Schluck von seinem arabischen Kaffee auf und lachte jungenhaft, als sie angewidert das Gesicht verzog. In seinen Armen, den Kopf an seiner Schulter, hörte sie ihm zu, als er die Ereignisse des Tages und seinen Besuch in einem anderen Camp schilderte und von seinen Männern und Pferden und von seinen Zukunftsplänen sprach. Lauter vertrauliche Dinge, wie sie ein Mann mit seiner Ehefrau und Kameradin beredet. Von diesem beglückenden und zugleich schmerzlichen Gedanken bewegt, erschauderte sie, und er meinte bestürzt, sie würde frieren. Er hatte sie hochgehoben, seine Wange an ihre geschmiegt und sie ins Schlafgemach getragen.
Aber in dieser Nacht fand sie nicht den Mut, in den anderen Raum zu gehen. Ahmed wirkte so fremd, nicht mehr wie der Mann, den sie früher gekannt hatte. Sie war sogar überzeugt gewesen, ihn allmählich besser zu verstehen. Und nun wußte sie nichts mehr über ihn. Sie fühlte sich so müde, ihr Kopf schmerzte, und die schreckliche Sorge um die Zukunft verwirrte sie. Nein, sie mochte nicht mehr nachdenken, wollte nur in seinen Armen liegen und bitterlich weinen. Wie sie nach der Berührung seiner Hände hungerte, wie erbärmlich sie litt!
Sie glitt vom Bett, sank auf die Knie und drückte ihr Gesicht in die Kissen. «Oh, Gott, schenk mir seine Liebe!» flüsterte sie flehend immer wieder - bis sie sich an jene Nacht erinnerte, als sie den Allmächtigen gebeten hatte, ihn zu verfluchen. «So habe ich es nicht gemeint», stöhnte sie schaudernd. «Lieber Gott, laß es mich zurücknehmen. Damals wußte ich nicht... Ich hab es nicht so gemeint...»
Mühsam unterdrückte sie ein Schluchzen. Im Wohnraum war es still, nur die Streichhölzer flammten in regelmäßigen Abständen auf. Zwischen den schweren Vorhängen wehte der Duft des Tabaks in den Raum und beschwor unzählige Erinnerungen herauf. Warum kam er nicht zu ihr? Wußte er, wie er sie quälte. War sie ihm so gleichgültig, daß er keinen Gedanken an ihren Kummer verschwendete? Hatte er sie vergessen? Überlegte er, ob sie sich unglücklich fühlte? Wieder stürmte die Zukunftsangst auf sie ein und ließ sich nicht zurückdrängen.
Die Ungewißheit würde sie noch umbringen. Seufzend hob sie den Kopf und sah auf den Reisewecker, der neben der Nachttischlampe stand. Vor einer Stunde hatte Gaston ihn verlassen. Noch eine Stunde - und sie würde den Verstand verlieren. Sie mußte endlich erfahren, was er vorhatte. Sie konnte nicht länger warten, die Grenze ihrer Belastbarkeit war erreicht. Taumelnd stand sie auf und zog den dünnen Kimono enger um die Schultern.
Aber dann hielt sie unschlüssig inne, denn sie fürchtete, ihre böse Vorahnung würde sich bestätigen. Ihr fehlte der Mut, dem Schicksal vorzugreifen. Lieber klammerte sie sich an ihren Traum. Die Augen unverwandt auf die Uhr gerichtet, beobachtete sie die Zeiger, die langsam über das Zifferblatt krochen. Eine Viertelstunde verstrich - eine halbe Ewigkeit. Erschöpft rieb Diana sich die Augen, um das Bild des grellweißen Porzellans mit dem langen schwarzen Minutenzeiger wegzuwischen. Kein Laut drang aus dem Nebenraum, und die Stille drohte sie in den Wahnsinn zu treiben. Sie brauchte eine Antwort auf ihre Fragen, denn diese konnte nicht schlimmer sein als das Leid, das sie schon so lange ertrug.
Also biß sie die Zähne zusammen und schlüpfte leise durch die Vorhänge in den Raum, wo sie wie angewurzelt stehenblieb und die Hände vor den Mund schlug. Er saß zusammengesunken, das Gesicht in den Händen verborgen, auf dem Diwan. Ohne seine fließenden Gewänder, die ein Teil von ihm waren, wirkte er auf sie wie ein Fremder, wie eine unbekannte Gestalt, die ein Seidenhemd, Breeches und hohe, vom langen Ritt staubige braune Stiefel trug. Auf dem Teppich sah sie ein zerknülltes Tweedjackett. Das mußte er hingeworfen haben, nachdem Gaston gegangen war. Niemals würde der ordentliche Kammerdiener ein Kleidungsstück einfach liegenlassen.
Voller Sehnsucht betrachtete sie den Scheich, seinen gesenkten Kopf und die gebeugten Schultern. Im Schein der Hängelampe schimmerte sein dichtes dunkles Haar wie Bronze. Vor Angst und Scheu bebte Diana am ganzen Körper. Doch die Liebe verlieh ihr Mut, und so ging sie zu ihm hinüber.
Ihre nackten Füße glitten lautlos über die Teppiche. «Ahmed»,
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