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Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Titel: Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)
Autoren: Martin Barkawitz
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irgendeiner zweibeinigen Hafenratte niederknallen lassen, ohne sich wehren zu können.
    Der Offiziant ließ den Lichtkegel seiner Blendlaterne langsam in die Richtung wandern, aus der die verdächtigen Geräusche gekommen waren. Seinen Revolver hielt Boysen schussbereit. Doch gleich darauf entspannten sich die beiden Ordnungshüter und begannen zu lachen.
    Von dem heftig kopulierenden Pärchen auf den gestapelten Jutesäcken ging ganz gewiss keine Lebensgefahr aus.
    »Wenn es am Schönsten ist, soll man aufhören!«, rief Boysen. Er dachte nicht daran, die Blendlaterne von den gespreizten Schenkeln des Mädchens und den stoßenden Hüften des Jünglings abzuwenden. Der Milchbart wandte den beiden Männern sein gerötetes Gesicht zu.
    »Verdammte Udels!«, schimpfte er. Aber gleich darauf – ob nun vor Aufregung oder weil die Zeit ohnehin gekommen war – beendete er die lustvolle Vereinigung. Das Mädchen war vielleicht 17 oder 18 Jahre alt. Sie zerrte ihren Rock über ihre weißen Schenkel und blickte beschämt zu Boden.
    Der Offiziant kam einen Schritt auf sie zu und hob mit dem Zeigefinger ihr Kinn.
    »Schau mir ins Gesicht!«, forderte Boysen. »Hat der Kerl dir Gewalt angetan?«
    »He, was soll das? Warum mischt ihr euch ein?«, protestierte der Junge und wollte Boysen angehen. Okkinga packte ihn und drehte ihm die Arme auf den Rücken.
    »Nein, ich ... Jan ist mein Verlobter. Wir wollen heiraten«, stammelte die Deern. Boysen nickte langsam. Vor seinem geistigen Auge lief das Leben der beiden jungen Leute ab. Er kannte ihre Schicksalswege genau, weil sie denen von tausenden anderer junger Hamburger zum Verwechseln ähnlich waren. Das Mädchen lebte gewiss bei ihren Eltern, gemeinsam mit mindestens sechs bis acht Geschwistern. Der Junge logierte wahrscheinlich als Schlafbursche bei einer Vermieterin, vermutlich bei einer alten Witwe. Er hatte kein Geld für ein eigenes Zimmer, geschweige denn für eine Wohnung. Daher musste das Liebespaar sich im Freien treffen, wenn es seiner Lust freie Bahn lassen wollte.
    Aber irgendwann würde der Jüngling doch ein paar Pfennige mehr Löhnung bekommen, seine blasse Deern ehelichen und mit ihr einen Stall voller Kinder zeugen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten konnten. Das ist der Lauf der Welt , dachte Boysen fatalistisch. Er drehte den Kopf zur Seite und spuckte braunen Tabaksaft auf das Kopfsteinpflaster.
    »In Ordnung, ihr dürft gehen. Aber lasst euch heute Nacht nicht noch einmal von uns erwischen. Sonst müssen wir euch wegen öffentlicher Unzucht einsperren.«
    Boysen brachte Okkinga durch eine Geste dazu, den jungen Mann loszulassen. Dieser taumelte vorwärts und legte den Arm schützend um die Schultern seiner Freundin. Er murmelte etwas vor sich hin, das gewiss keine Freundlichkeit war.
    Der Offiziant beachtete das Pärchen nicht weiter. Die beiden waren im Grunde harmlos, das wusste er selbst. Der Junge und das Mädchen eilten Hand in Hand Richtung Wandrahmsteg davon.
    Boysen und Okkinga setzten ihren Rundgang zwischen den Warenspeichern fort.
    »Ja, man müsste auch mal wieder ablassen«, sagte der Friese plötzlich. Seine Stimme hatte einen träumerischen Unterton.
    Boysen hob eine Augenbraue und warf dem Constabler einen überraschten Seitenblick zu. Okkinga redete kaum, wenn er nicht direkt angesprochen wurde. Da Boysens Untergebener nun sogar freiwillig das Wort ergriff, war das ein Beweis dafür, dass Okkinga einen wirklich starken inneren Druck verspüren musste. Der Anblick des kopulierenden Pärchens hatte den friesischen Ordnungshüter offenbar auf Ideen gebracht. Dafür hatte Boysen vollstes Verständnis.
    »Hast Recht, Okkinga«, meinte der Offiziant. »Wir schauen nachher noch bei Frau Lehmkuhl nach dem Rechten.«
    Mit dieser Antwort gab sich der Friese einstweilen zufrieden und nickte vor sich hin. Nun erweckte Okkinga wieder den Eindruck, im Gehen zu schlafen. Doch wenig später wurde die Streife mit dem nächsten Problem konfrontiert.
    Am St. Annen-Ufer war ein leckes Ruderboot an Land gezogen worden. Es ruhte kieloben direkt an der Kaimauer. Boysen ging in die Knie und leuchtete mit seiner Blendlaterne unter das Boot. Zwischen das Straßenpflaster und die Reling waren große Holzkeile getrieben worden.
    »Da liegt einer drunter«, sagte Boysen zu Okkinga. Und er rief laut: »Rauskommen, aber sofort! Hier ist die Polizei!«
    Zur Bekräftigung seiner Worte schlug der Offiziant mit seinem Dienststock auf den hölzernen Boden des
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