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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers
Autoren: Gene Wolfe
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sich nicht auf sie bezog.
    »Du siehst ja, daß die junge Dame unverletzt ist.« Dr. Talos erhob sich und verräumte die Geldkassette. »Es ist mir immer ein Vergnügen, mit jemand zu sprechen, dem unsere Vorstellung besonders gefallen hat, aber leider haben wir nun zu tun. Wir müssen nun packen, wenn du gestattest.«
    Da sein Gespräch zu einem Dialog mit Dr. Talos geworden war, setzte er sich die Mütze wieder auf, die er so tief ins Gesicht zog, daß sie fast die Augen bedeckte. »Ladung? Keiner ist dafür besser geeignet als ich, der alte S-superkargo, der alte Händler und Proviantmeister, der alte St-stauer. Wer sonst soll die Körner wieder auf den Maiskolben stecken, das K-kücken wieder ins Ei packen? Wer soll den Nnachtfalter mit seinen festlichen Flügeln, F-flügeln wie Leesegel, wieder in den gebrochenen K-kokon betten, der hängengeblieben ist, wie ein S-s-sarkophag? Aus Liebe zum M-meister tu' ich's, um des M-meisters willen tu' ich's. Und f-f-f-folge ihm, wohin er auch geht.«
    Da ich nicht wußte, was ich antworten sollte, nickte ich einfach. Baldanders – der offenbar, mochte er auch sonst wenig verstanden haben, aufschnappte, daß vom Packen die Rede war – holte schon einen Prospekt von der Bühne und machte sich daran, ihn auf die Stange aufzurollen. Mit unverhofftem Schwung sprang Hethor auf und klappte die Requisiten für das peinliche Gericht zusammen, woraufhin er die Projektordrähte aufspulte. Dr. Talos sah mich an, als wollte er mir sagen: Nun, du hast für ihn die Verantwortung, genau wie ich für Baldanders.
    »Es gibt ihrer viele«, meinte ich. »Es fasziniert sie der Schmerz, und sie suchen die Verbindung mit uns, wie normale Männer die Verbindung mit Dorcas und Jolenta suchen würden.«
    Der Doktor nickte. »Ich überlege. Man kann sich einen idealen Diener als einen solchen vorstellen, der aus reiner Liebe zu seinem Herrn dient, wie auch einen idealen Grabenbauer als solchen, der sein Lebtag lang ein Landmensch bleibt, weil er die Natur liebt, oder eine ideale Dirne, die ein dutzendmal pro Nacht die Beine spreizt, weil sie den Geschlechtsakt liebt. Nur begegnet man solchen Fabelwesen nie in der Wirklichkeit.«
    Nach etwa einer Wache waren wir unterwegs. Unser kleines Theater mit seinem wandelbaren Bühnenaufbau ließ sich recht einfach in einen großen Karren umbauen, und Baldanders, der dieses Gefährt zog, trug auf dem Rücken obendrein noch allerlei Krimskrams. Dr. Talos, dem Dorcas, Jolenta und ich folgten, bildete die Spitze des Zuges, während Hethor etwa hundert Schritt hinter Baldanders einherging.
    »Er ist wie ich«, sagte Dorcas mit einem Blick zurück. »Und der Doktor ist wie Agia, nur nicht so schlimm. Weißt du noch? Sie brachte es nicht fertig, mich zu vertreiben, und schließlich untersagtest du ihr, es weiter zu versuchen.«
    Natürlich wußte ich das noch und fragte sie, warum sie uns so eisern gefolgt sei.
    »Ihr wart die einzigen Menschen, die ich kannte. Und das Alleinsein fürchtete ich noch mehr als Agia.«
    »Also hast du sie gefürchtet?«
    »Ja, sehr. Noch immer. Aber ... ich weiß nicht, wo ich gewesen bin, jedenfalls bin ich, glaubte ich, allein gewesen. Eine lange Zeit. Ich wollte nicht wieder allein sein. Du verstehst es zwar nicht – oder wirst es nicht gern hören – aber ...«
    »Ja?«
    »Hättest du mich ebenso gehaßt wie Agia, wäre ich dir dennoch gefolgt.«
    »Ich glaube nicht, daß Agia dich gehaßt hat.«
    Dorcas blickte zu mir auf. Ich kann ihr pikantes Gesicht nun vor mir sehen, als spiegelte es sich auf der ruhigen, zinnoberroten Tinte im Faß. Ihr Gesicht war vielleicht ein bißchen schmal, spitz und blaß – für große Schönheit zu kindlich; aber die Augen strahlten azurblau wie das Firmament einer entlegenen, auf die Menschen wartenden Welt; sie konnten mit Jolentas Augen wetteifern. »Sie hat mich gehaßt«, erwiderte Dorcas leise. »Und haßt mich jetzt noch mehr. Weißt du noch, wie benommen du nach dem Kampf gewesen bist? Du hast nicht zurückgeschaut, als ich dich weggeführt habe. Ich habe zurückgeschaut und ihr Gesicht gesehen.«
    Jolenta beschwerte sich bei Dr. Talos, weil sie zu Fuß gehen mußte.
    Mit dumpfer Stimme antwortete der schwerfällige Baldanders von hinten: »Ich trage dich.«
    Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. »Was? Über dem Rest?«
    Er entgegnete nichts. »Wenn ich sage, daß ich reiten will, heißt das nicht, wie du offenbar glaubst, auf den Schultern eines Knechts wie ein dummer Gaffer
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