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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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nicht bewegten.
    Zeit hatte keine Bedeutung. Er hätte nicht sagen können, wie oft er in Bewusstlosigkeit versank und wieder erwachte, wie lange die Schlafphasen dauerten. Er war überzeugt, dass Tage und Wochen vergangen waren, seit er an diesen Ort gebracht worden war, und als einzelne Schnipsel der Erkenntnis sich zusammenfügten, erwachte Zorn in ihm. Irgendetwas Schlimmes war passiert. Er war im Krankenhaus. Die talking heads waren Ärzte. Aber sie halfen ihm nicht, und sie erkannten nicht, dass er wach war. Er hatte entsetzliche Angst, er könnte in der Hand von Feinden sein - warum? - oder für immer gefangen in einem Zustand der Lähmung, der ihm zwar vernünftig zu denken erlaubte, nicht aber sich mitzuteilen.

    Er fühlte sich von der dunkelhaarigen Frau bedrängt. Ihr Geruch widerte ihn an, ebenso die Berührung ihrer Hand. Sie war immer da, zarte Tränen auf den blassen Wangen, aber ihre Traurigkeit ergriff ihn nicht. Er wusste intuitiv, dass die Tränen Theater waren und nicht ihm galten, und verachtete sie für ihre Unaufrichtigkeit. Er meinte, er müsste sie kennen. Jedes Mal, wenn er erwachte und sie unter halbgeschlossenen Lidern hervor beobachtete, glaubte er, eine gewisse Vertrautheit zu verspüren.
    Er erkannte seinen Vater, diesen müde aussehenden Mann, der sich ständig am Rand seines Blickfelds bewegte, noch bevor er sie einordnen konnte. Es durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag. Im nächsten Augenblick wusste er auch, wer die Frau war und warum ihre Berührung ihn abstieß. Andere Erinnerungen kehrten wieder. Sein Name fiel ihm ein. Charles Acland. Seine Stellung, Lieutenant bei der britischen Armee. Sein letzter Einsatz, Irak.
    Etwas erinnerte er ganz deutlich, und wie ein Film lief es immer wieder vor seinem inneren Auge ab, weil es ihm eine Erklärung bot: wie er an dem Tag, an dem er in den Nahen Osten aufgebrochen war, in eine Hercules der Royal Air Force stieg. Die Maschine musste beim Start abgestürzt sein, denn als Letztes war ihm im Gedächtnis, wie er sich in seinem Sitz anschnallte.
     
    »Charles. Wachen Sie auf, Charles.« Jemand kniff ihn in die Hand. »Braver Junge. Kommen Sie. Wachen Sie auf.«
    Er öffnete das unversehrte Auge und sah die Krankenschwester mittleren Alters an, die sich über ihn beugte. »Ich habe Sie gehört«, sagte er. Die Worte kamen ihm in einem langgezogenen Lallen über die Lippen, aber er wusste, dass er sie gesprochen hatte.
    »Sie sind operiert worden, und jetzt müssen Sie sich erholen«, erklärte sie, weil sie meinte, er hätte gefragt, Wo bin ich? »Wenn alles gut geht, liegen Sie heute Nachmittag wieder in Ihrem eigenen Bett. Sie sind an eine PCA-Pumpe angeschlossen« - sie
führte seine linke Hand zu einem Bedienungsgerät -, »patientenkontrollierte Analgesie nennt man das. Damit können Sie Ihre postoperative Betreuung selbst übernehmen. Sie sollten vorläufig keine schmerzstillenden Mittel brauchen, aber wenn Sie Schmerzen bekommen, dann drücken Sie einfach auf den weißen Knopf. Mit dem Morphium können Sie schlafen.«
    Er riss augenblicklich seine Hand zurück.
    »Ganz wie Sie wollen«, sagte sie freundlich, »aber so können Sie selbst den Schmerz steuern. Die einzelnen Dosen sind genau abgemessen, eine Überdosierung ist ausgeschlossen.« Sie lächelte zuversichtlich. »Sie werden gar nicht lange genug an dem Apparat hängen, um abhängig zu werden, Charles. Glauben Sie mir.«
    Das tat er nicht. Er erkannte schlagartig, dass er keiner Frau traute, hatte allerdings keine Ahnung, warum das so war.
    Die Pflegerin hielt einen eiförmigen schwarzen Plastikballon hoch. »Ich lege Ihnen das in die rechte Hand. Sagen Sie mir, ob Sie es fühlen.«
    »Ja.«
    »Gut.« Sie schob seinen Daumen auf einen oben angebrachten Knopf. »Drücken Sie da, wenn Sie mich brauchen. Ich sehe regelmäßig nach Ihnen, aber im Notfall rufen Sie. Sie haben Riesenglück gehabt. Gott muss Ihnen einen wahren Nashornschädel gegeben haben, sonst hätten Sie nicht überlebt.«
    Sie wollte gehen, aber Acland hielt sie mit der freien Hand am Rock fest. »Wie kam es zu dem Absturz?«
    »Bitte?«
    Er sog die Worte tief ein wie ein Bauchredner und wiederholte sie langsam und guttural. »Chuie cham es su dem A’sturz?«
    »Zu welchem Absturz?«
    »Des Flugzeugs.« Er versuchte es noch einmal. »Des Chluchzeuchs?«
    »Sie erinnern sich nicht, was passiert ist?«
    Er schüttelte den Kopf.

    »Okay. Ich werde jemanden bitten, es Ihnen zu erklären.« Sie klopfte ihm auf
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