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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht
Autoren: David J. Schow
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noch mit höllischen Kopfschmerzen zu kämpfen. Es war, als würden in seinem Kopf gewaltige Baumstämme aufeinanderprallen. Die Schmerzen durchzogen die ganze linke Seite seines Kopfes und ließen sein Auge tränen und die Nase tropfen. In seinen Augenbrauen hatten sich Schweißperlen gebildet. Der Schmerz war überwältigend, und man konnte ihn nicht mehr wegmeditieren. Es war Zeit für Exedrin.
    Er zog seinen Rucksack über den leeren Sitz zu sich heran, öffnete die größte Tasche und zog eine halb volle Mineralwasserflasche heraus, die immer noch Kohlensäuren enthielt. Er hatte noch einen Apfel und ein paar trockene Kekse übrig, irgendwo zwischen den Kassettenhüllen und dem anderen Krimskrams in dem Rucksack – seinem Nikon-Plus-Fotoapparat mit einem Farbfilm von tausend ASA, seinem Kulturtäschchen, dem Adressbuch und dem Brillenetui, das seine dunkle Pilotenbrille schützte. Der Drehverschluss der Flasche machte pschttt. Er schluckte drei der weißen Pillen trocken hinunter. Die vierte blieb stecken. Er hielt die Flasche an die Lippen und fühlte, wie sich die Tablette in seiner Kehle auflöste. Er versuchte sich zu entspannen, mit geschlossenen Augen.
    Nichts zu machen. Es war alles so verdammt schief gelaufen. Es war alles so kompliziert geworden. Es gab so viele A’s und O’s, dass man daraus einfach keine nette kompakte Anfangbis-Ende-Geschichte mehr machen konnte.
    Einmal hatte er Amanda tagsüber bei der Arbeit angerufen. Nur um in Kontakt zu bleiben, um ihre Stimme zu hören, um zu fragen, wie es ihr ging.
    ›Schwanger.‹ Sie hatte es einfach so gesagt, mit Vorbedacht, und hatte dann aufgelegt.
    Danach kam dann der Streit. Unheil bringend, aber noch in zivilem Rahmen, hatte es mit einem Gespräch über Abtreibungen, Gehälter und Machbarkeiten begonnen. Es endete mit hochtrabenden Bemerkungen über das Reifen einer Partnerschaft zwischen zwei Menschen.
    Amanda weinte die meiste Zeit. Jonathan glaubte, er hätte die Oberhand behalten.
    Er hatte verloren.
    Sie war hartnäckig, clever und einfallsreich. Es ärgerte Jonathan immer wieder, dass sie anscheinend den Sinn ihres Lebens darin sah, das, was einzigartig an ihr war, zu unterdrücken und sich der Allgemeinheit anzupassen, zu dem zu werden, was sein guter Kumpel Bash »die Arschgesichter« getauft hatte.
    Nach Bashs Definition waren das: Leute, die sich Sex-TV ansahen und im Silver Bullet herumhingen. Leute, die wahllos Kinder in die Welt setzten und davon faselten, dass sie mal was für ihre Figur tun müssten. Leute, die daran glaubten, dass ein Lotteriegewinn alle ihre Probleme lösen würde. Leute, für die Lebensqualität ein größerer Wagen war. Leute, die darauf vertrauten, dass Gott schon alles richten werde, dass er ihre Fehler ausbügeln und ihre ganze Existenz verbessern würde, weil sie selbst zu faul dazu waren. Exporttrinker. Der Geist des Pöbels, die Durchschnittsspießer, die geistig minderbemittelten Klassen. Die Art guter Bürger, die bei der richtigen Gegebenheit zu Brandstiftern werden.
    Die Arschgesichter.
    Amanda war anders erzogen worden. Sie hatte immer Kinder haben wollen. Aber zu viele Geburtstage waren an ihr vorbeiparadiert, und sie konnte Mutterschaft langsam nicht mehr als vage Irgendwann-aber-nicht-jetzt-Idee abtun. Sie verrannte sich in eine ausweglose Panik. Jonathan dachte eine Weile ernsthaft darüber nach, für ein kleines Etwas den Daddy zu spielen. Er war schockiert, als ihm aufging, dass er Kinder gar nicht so sehr verabscheute, wie er immer geglaubt hatte. Die menschlichen Wesen im Miniformat hatten sogar etwas für sich.
    Aber er stellte fest, dass sie am meisten für sich hatten, wenn sie jemand anderem gehörten und man sie sich freiwillig ansehen konnte, nachdem die unangenehmen Dinge herausgefiltert waren.
    Zu viele Freunde betonten zu übereifrig, dass sich alles veränderte, sobald man ein Kind bekam. Was nicht verwunderlich war. Jonathan spürte die Solidarität der Gefangenen, die ihn zu sich herüberziehen wollten. Er fragte Amanda, warum das so war. Ihre Antwort war deutlich ausgefallen, dogmatisch: ›Weil Leute das nun einmal tun.‹
    Das war nicht genug, nicht für Jonathan, der nicht daran glaubte, dass man Familien mehr oder weniger zufällig gründete. Er war wie ein Forscher, der auch nicht freiwillig ein Lager aufschlägt, sondern nur, weil er Schutz braucht.
    Aber das reichte Amanda nicht.
    Sie hatten beide in dem Jahr nicht besonders verdient, und Amanda hatte abtreiben lassen.
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