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Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Titel: Der Ruf des weißen Raben (German Edition)
Autoren: Sanna Seven Deers
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die draußen vorbeizogen, wuchsen Zedern und Fichten, und auch die Büsche und Pflanzen am Straßenrand standen in sattem Grün. Es musste Sommer sein.
    Myra blickte die Straße entlang. Plötzlich erkannte sie, wo sie war. Dies war der Highway, der aus Boulder Landing, aus dem Ort, in dem sie aufgewachsen war, Richtung Westen hinausführte!
    »Myra, hörst du mir zu?«, sagte eine Stimme neben ihr.
    Myra fuhr zusammen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass das Auto nicht von allein fuhr. Ein Mann saß am Steuer. Verwirrt blickte sie ihn an.
    »Wir sollten Emma kurz anrufen und fragen, ob alles in Ordnung ist«, fuhr der Mann neben ihr fort.
    Emma? Wer war das? »Wen?«, fragte Myra zaghaft, um Zeit zu gewinnen.
    »Emma. Unsere Tochter«, erwiderte der Mann und schenkte ihr ein nachsichtiges Lächeln. Dieses Lächeln löste in Myra ein Gefühl von Geborgenheit aus, das sie sich nicht zu erklären vermochte. Sie war sich sicher, dass sie diesen gutaussehenden Mann mit den schulterlangen schwarzen und von silbergrauen Strähnen durchzogenen Haaren, den hohen Wangenknochen und der bronzefarbenen Haut nie zuvor gesehen hatte. Sie schätze ihn auf Ende vierzig. Doch es waren seine bernsteinfarbenen Augen, die Myra in den Bann zogen. Diese Augen sahen sie immer wieder liebevoll an. Sie kamen ihr auf seltsame Weise vertraut vor.
    »Oh … ja«, antwortete Myra vorsichtig, um keinen Verdacht zu erregen. »Es sollte ihr gutgehen.«
    »Es sollte «, entgegnete der Mann. »Aber sie ist erst sechzehn, und sie ist in einer Kleinstadt aufgewachsen. Heute übernachtet sie zum ersten Mal bei ihrer Freundin, die in einer ziemlich großen Stadt lebt – mit all ihren Vor- und Nachteilen.«
    Sechzehn! Eine sechzehn Jahre alte Tochter? Myra rieb sich ungläubig über die Stirn.
    Der Mann streckte seine Hand aus und strich ihr beruhigend über den Arm.
    »Mach dir keine Sorgen, mein Schatz.« Dann fügte er hinzu: »Es dauert noch ein paar Minuten, bis wir bei Heathers Haus sind. Warum ruhst du dich nicht ein bisschen aus?«
    Myra schloss, erleichtert, dass sie im Augenblick nichts weiter sagen musste, die Augen und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie fühlte sich irgendwie zweigeteilt und unvollständig. Als sei sie gleichzeitig jung und zwanzig Jahre älter. Und von beiden Leben fehlten ihr die Einzelheiten. Ihre Erinnerung war seltsam verschwommen.
    Sie hatte eine Tochter. Und der Mann neben ihr war offenbar ihr Ehemann – obwohl sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Sie spürte einen seltsamen Stich im Herzen. Oder war sie ihm doch schon einmal begegnet?
    Ein weiteres seltsames Ziehen durchlief ihren Körper, und genau wie zuvor bei Runa war sie nun ganz und gar in die Person der älteren Myra hineingeschlüpft. Sie erinnerte nichts mehr von ihrem eigentlichen Selbst. Dafür wusste sie nun alles, was die ältere Myra wusste. Sie wusste, welcher Tag heute war, sie wusste, dass sie im Auto unterwegs waren, um Heather einen Besuch abzustatten, sie wusste, dass der Mann neben ihr ihr Ehemann Chad Blue Knife war und dass er ihr die schöne Halskette mit dem Rabenanhänger zu ihrer Hochzeit geschenkt hatte.
    Myra hatte Chad vor fast zwanzig Jahren ganz in der Nähe von Boulder Landing kennengelernt, beim Wandern am Thunder Mountain. Sie war an den Ort ihrer Kindheit zurückgekehrt, um sich über ihre Gefühle zu ihrem damaligen Freund Jerry klarzuwerden, um wieder mit sich selbst in Einklang zu kommen. Jerry … Das war vor Ewigkeiten gewesen. Myra hatte sich noch am selben Tag endgültig von ihm getrennt, und seitdem hatte es nur einen Mann in ihrem Leben gegeben: Chad Blue Knife.
    Chad war in der Nähe von Boulder Landing aufgewachsen und nach Ende seines Studiums dorthin zurückgekehrt, um sich als Anwalt niederzulassen und seinen Stammesmitgliedern zu helfen. Das war seine große Aufgabe im Leben: Menschen zu helfen.
    Myra hatte lange Zeit in Victoria gelebt. Da sie damals ohnehin gerade ihren Job verloren hatte, war sie, nachdem sie Chads Bekanntschaft gemacht hatte, kurz entschlossen wieder nach Boulder Landing zurückgezogen und hatte angefangen, für wenig Geld, aber mit gutem Gewissen als freischaffende Journalistin zu arbeiten. Zwei Jahre später hatten sie geheiratet. Dann war Emma zur Welt gekommen.
    Jetzt war Emma zu einem gutaussehenden, sportlichen und fleißigen Mädchen von sechzehn Jahren herangewachsen. Sie übernachtete bei ihrer Freundin, die in Fort Duffey lebte, der nächstgelegenen Stadt.
    Myra warf ihrem
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