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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra
Autoren: Julie Leuze
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lächerlich vorkam. Verdammt, er musste etwas tun, irgendwas, jetzt gleich. Sonst würde der Kummer über den Verlust von Emma ihn zerreißen.
    John rettete sich in seine Professionalität als Arzt. Vor ihm lagen Tote und Verletzte, und zumindest um Letztere hatte er sich gefälligst zu kümmern. Er ging in die Hocke, nahm sich in kühler Distanz einen nach dem anderen vor. Birwain war tot, da gab es keinen Zweifel. John konnte ein Gefühl des Bedauerns nicht unterdrücken, als er dem streitbaren, doch weisen Alten die Augen schloss.
    Oskar Crusius … ebenfalls tot. Blut und eine wässerige Flüssigkeit – Hirnflüssigkeit, erkannte John – liefen in dünnen Fäden aus seiner Nase. John diagnostizierte Tod durch Schädelbruch und schloss auch ihm die Augen.
    Er hörte Emma schluchzen, sah aber nicht zu ihr auf. Wenn er sie jetzt in den Arm nähme, wäre es mit seiner Selbstbeherrschung und Zurückhaltung vorbei, das war ihm nur allzu klar.
    Also kümmerte er sich mit zusammengebissenen Zähnen um Birrinbirrin, der zwar ohnmächtig, aber immerhin am Leben war. Die breite Nase des jungen Mannes war gebrochen, und er würde Narben im Gesicht zurückbehalten, doch ansonsten schien ihm nichts Ernsthaftes zu fehlen. Wahrscheinlich gefallen Nowalingu die zusätzlichen Narben recht gut, dachte John sarkastisch.
    Dann holte er tief Luft und wandte sich dem Verletzten zu, für den Emma all das auf sich genommen hatte. Die Gefahr, die Strapazen; sogar ihren eigenen Tod hatte sie riskiert.
    Alles für diesen Mann?, dachte John und starrte auf den armen, bestialisch stinkenden Teufel, der regungslos vor ihm lag. Lebte er? John griff nach dem mageren Handgelenk und erspürte einen kräftigen Puls. Obwohl er es nicht wollte, atmete John auf. Er untersuchte den Mann weiter, suchte nach potentiell tödlichen Verletzungen, fand keine und war schon wieder erleichtert. Mit Befremden erkannte John, dass er unbedingt wollte, dass Carl Scheerer am Leben blieb.
    Emma brauchte diesen Mann, um glücklich zu sein. Und deshalb durfte er nicht sterben.
    Als John bewusst wurde, dass sein Handeln und Denken in diesem Augenblick tatsächlich von Edelmut geprägt waren, lachte er freudlos auf. Was war er bloß für ein Narr! Da verlor er die Frau, die er mehr liebte als alle, die er je kennengelernt hatte – und entdeckte in genau diesem Moment seine selbstlose Ader.
    »Werde ich ihn verlieren?«, hörte er Emma fragen.
    Da endlich blickte er zu ihr hoch. »Nein.«
    Das Aufleuchten in ihren Augen schmerzte. Johns Stimme klang brüsker als beabsichtigt, als er fragte: »Kannst du deinen Mann halten, wenn wir ihn vor dir aufs Pferd binden?«
    Sie nickte hastig, ihr Blick glitt zwischen ihm und Carl hin und her.
    John stand auf. »Dann los. Du übernimmst deinen Mann, ich Birrinbirrin. Um alles andere kümmern wir uns, wenn wir aus der Gefahrenzone raus sind.« Grimmig setzte er hinzu: »Ewig werden die storekeepers nämlich nicht beschäftigt sein.«

19
    OKTOBER 1860
    E mma saß auf ihrem Stuhl am offenen Fenster und blickte hinaus. Der Birnbaum vor dem Haus blühte, warm schien die Sonne ins Zimmer. Wie lange schien es her, dass sie mit John in ebendiesem Gasthaus logiert hatte! Dabei waren seither keine zwei Monate vergangen.
    Sie stand auf und trat an das Bett, in dem Carl lag und schlief. Emma konnte nicht widerstehen und legte ihm die Hand auf die Wange, die nun sauber und glatt rasiert war. Sie musste sich versichern, dass er wirklich da war, dass sie ihn anfassen konnte, dass er wieder mehr war als nur Haut und Knochen. Sehr sanft strich sie über sein blasses Gesicht, hielt inne, als er sich rührte. Sie wollte nicht, dass er erwachte. Sie war froh, wenn Carl ohne Alpträume schlief; es kam selten genug vor.
    Neben dem Bett lag in einer hölzernen Wiege Belle. Sie hielt ihren Mittagsschlaf, den Daumen fest im Mund. Emma betrachtete sie lächelnd.
    Da Belle nun nicht mehr bei Purlimil war und gestillt wurde, sondern mit Emma und Carl in Warwick lebte, hatte sie sich gezwungenermaßen mit Kuhmilch und Zwiebackbrei angefreundet. Die neue Kost tat Belle gut: Ihre Wangen waren rund geworden, der kleine Körper kräftig. Wenn sie nicht schlief, eroberte sie auf allen vieren die Welt, nichts und niemand war vor ihr sicher. Besonders gerne schäkerte sie mit dem grauhaarigen Fremden, strahlte ihn an, patschte ihm mit ihren Händchen ins Gesicht. Vielleicht spürte sie ja, dass Carl nun wieder ihr Vater war. Er widmete sich dieser Aufgabe
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