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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman
Autoren: Elizabeth Haran
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zerknitterten braunen Papiers und der offensichtlich schon häufiger benutzten Schnur leise Scham in sich aufsteigen. »Ich hätte aufpassen müssen, als ich auf die Straße trat. Ich war wohl in Gedanken – das passiert mir sonst selten ...« Sie schenkte ihm einen eindringlichen Blick unter ihren langen Wimpern, um den Eindruck wieder auszugleichen, den ihr ungeschicktes Benehmen bei ihm hinterlassen haben mochte.
    »Sie sind ganz einfach das Opfer eines Zusammentreffens zwischen Vergangenheit und Zukunft geworden«, erwiderte er. »Würden Sie mir erlauben, Ihnen beim Überqueren der Straße beizustehen?«
    Einen flüchtigen Augenblick lang genoss Lady Bowers das Gefühl, so respektvoll behandelt zu werden, doch dann rief sie sich zur Ordnung: Sie musste vor allem ihr Ziel im Auge behalten.
    »Das wird nicht nötig sein«, gab sie spröde zurück und hoffte, er würde sich nun wieder seinen eigenen Angelegenheiten widmen. Genau das hatte sie ebenfalls vor, bevor sie völlig die Nerven verlor.
    »Es ist viel Verkehr – und Ihr ... Ihr Gemälde sieht ziemlich schwer aus.«
    »Ich komme schon zurecht!«
    »Aber es wäre mir ein Vergnügen!«
    Da war es wieder, dieses verheerende Lächeln! Schon sah sie ihren ausgefeilten Plan in sich zusammenstürzen, doch sie musste sich zusammennehmen. Ihr Leben stand kurz davor, eine fatale Wendung zu nehmen, und sie musste schnell handeln, um nicht in eine schreckliche Situation zu geraten. Schließlich war sie auf sich allein gestellt und ohne jegliche finanzielle Mittel.
    »Nein, danke. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden ...«
    »Sind das Ihr Wagen und Ihr Fahrer?« Er blickte zu einer glänzenden schwarzen Kutsche, die nur ein paar Schritte hinter ihrstand und die sie sich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätte leisten können. Ihre Wangen überzogen sich mit tiefer Röte, und wieder war sie froh, einen Schleier zu tragen.
    »Ja – aber ich habe meinem ... Diener gesagt, dass ich durchaus imstande bin, allein über die Straße zu gehen!« Sie versuchte, ihr Gemälde an sich zu nehmen, doch er hielt es weiter fest. Sie war sich nicht sicher, ob er nun ein unerschütterliches Selbstbewusstsein besaß oder einfach nur schrecklich hartnäckig war. Jedenfalls stellte er ihre Geduld auf eine harte Probe!
    »Diese mutige Selbstständigkeit ist eine bewundernswerte Eigenschaft, Madam«, sagte er, »besonders in der Situation, in der Sie sich bedauernswerterweise befinden – aber ich bestehe darauf, Ihnen zu helfen. Außerdem verfüge ich zufällig über einigen Einfluss in der Galerie. Es wäre mir eine Ehre, Sie persönlich dorthin zu begleiten und dafür zu sorgen, dass Sie mit äußerster Höflichkeit und Rücksicht behandelt werden.« Er war sicher, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte, und wild entschlossen herauszufinden, was es war.
    Lady Bowers bedachte ihn mit einem zweifelnden Blick. »Auch wenn Sie anscheinend noble Absichten haben, Sir, kann ich nicht glauben, dass Sie in der angesehenen Harcourt Gallery wirklich über einen derartigen Einfluss verfügen!«
    Jetzt wirkte er überrascht und irgendwie verwirrt, doch Lady Bowers fuhr unerbittlich fort: »Ich habe meinen eigenen Plan, um sicherzustellen, dass ich gerecht behandelt werde.« Sie hatte zunächst überlegt, sich ein Kissen unter das Kleid zu stecken, damit es aussähe, als sei sie schwanger, doch schließlich hatte sie ihre Meinung geändert.
    »Wirklich? Ich bin gespannt«, erwiderte er, und sein Ton machte ihr schlagartig bewusst, dass sie nicht gerade wie eine trauernde Witwe klang.
    »Ich meine, ich hoffe natürlich, dass man mir dort wegen meiner persönlichen Situation Mitgefühl entgegenbringt.«
    »Unglücklicherweise, Madam, sind Mitgefühl und Geschäftefür gewöhnlich unvereinbar, besonders jetzt, seit dem Börsenkrach. Wenn Sie aber jemanden dort kennen würden, also Beziehungen hätten, könnte das eine große Hilfe sein. Darf ich fragen, ob Sie mit irgendjemandem in der Galerie bekannt sind?«
    »Nun ... nein.«
    Er lächelte. »Erlauben Sie mir, mich vorzustellen: Riordan Magee, zu Ihren Diensten.«
    »Ta...« Sie räusperte sich, um ihren Schnitzer als Hustenanfall zu tarnen, doch Riordan hatte es trotzdem bemerkt. »Lady Morna Bowers, Sir.« Sie erinnerte sich an ihre Benimmstunden und streckte ihm zögernd eine behandschuhte Hand entgegen. Er bemerkte sofort die gebräunte Haut zwischen dem Rand ihres Handschuhs und dem Ärmel ihres Kleides. Eine wirkliche Lady hätte
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