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Der Ruf der Steine

Der Ruf der Steine

Titel: Der Ruf der Steine
Autoren: Gary Goshgarian
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als ob sich seine Beute nur ein ganz klein wenig außerhalb seiner Reichweite befände und er nicht nachlassen dürfte, um sie nicht zu verlieren.
    »Was ist bloß mit ihm los?«, schrie Carla. Bilbos Kopf war fast nicht mehr zu sehen. »Halte ihn zurück!«
    Sie streckte die Hand nach dem Hund aus, doch Vinnie zog Carla zurück und packte die Schlaufe der Leine. Bilbo wog keine vierzig Pfund, aber dennoch hatte Vinnie das Gefühl, an einem Bären zu zerren. Sand spritzte aus dem Loch empor, während Bilbo sich immer tiefer in die Erde grub. Mit aller Kraft warf Vinnie sich ins Zeug.
    Unvermittelt erstarrte das Tier. Wieder ertönte das dröhnende Grollen, und dann schob sich der Hund aus dem Erdreich heraus. Der Kopf war dreckverkrustet, und die entblößten Zähne schnappten nach Vinnie.
    »Jesus!« Wie ein Krebs robbte Vinnie rückwärts.
    Dieses Tier hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit Bilbo.
    Sein Fell war sandverklebt, seine Schnauze war vom Wühlen blank gescheuert und blutete. Ein Augapfel hing lose in seiner Höhlung, und aus einem Schnitt quoll langsam dickliche Augenflüssigkeit hervor, das andere Auge war feuerrot. Das Wesen knurrte und schnappte blindlings in die Luft, und aus seinem Maul tropfte mit Speichel und Blut vermischter Sand herunter. Nur das rote Halsband bewies, dass es sich noch immer um Bilbo handelte.
    Carla stieß einen Schrei aus, doch das Tier beachtete sie nicht. Es beachtete überhaupt niemanden – dessen waren sie ziemlich sicher. Es schwenkte seinen Kopf im Lichtschein der Taschenlampe hin und her und ließ noch einen der grässlichen Knurrlaute hören. Dann stürzte es sich wieder kopfüber in das Loch.
    »Die Leine!«, schrie Carla. »Pack die Leine!«
    Aber Vinnie war zu keiner Bewegung fähig. Reglos sah er zu, wie sich das Tier in dem alten Hügel vergrub, wie seine Hinterbeine haufenweise Sand herausschleuderten und sich die rote Leine wie Gedärm hinter ihm schlängelte.
    Bevor das Tier völlig verschwand, stürzte sich Vinnie auf die Leine. Aber der Zug war so stark, dass sich die Schlinge augenblicklich um sein Handgelenk schloss. In der nächsten Sekunde lag er auf dem Gesicht und wurde von einem Sog ergriffen.
    Es ging so schnell, dass er kaum spürte, wie Carla ihn packte und wie ein schrecklicher Schmerz seinen Arm durchfuhr. Mit Bilbo hatte das nichts mehr zu tun, und eine vernünftige Erklärung gab es nicht. Tatsache war jedoch, dass sein Arm bis zur Schulter im Hügel steckte und sein Gesicht gegen die Erde gepresst wurde. Er kämpfte mit aller Macht, damit ihm nicht das Genick gebrochen wurde. Die Leine war viel zu stabil, um einfach abzureißen, und da er seine Hand nicht mehr bewegen konnte, blieb ihm nur zu hoffen, dass sie irgendwann von seinem Handgelenk abrutschte. Er klebte hilflos am Boden und versuchte mit allerletzter Kraftanstrengung eine Drehung.
    Der Schmerz war so heftig, dass er ihm die Luft aus der Lunge presste. Ganz vage hatte er das Gefühl, sich endlich zu lösen. Er rollte herum auf die Knie, und wie eine abgestorbene Wurzel glitt sein Arm aus dem Erdreich.
    Ein unterdrücktes Knurren erschütterte den Hügel, und unter ihm schloss sich die Erde wie eine im Zeitraffer heilende Wunde. Hinter ihm schrie Carla entsetzt auf, was Vinnie jedoch entging. Er registrierte nur den Schmerz und das umherspritzende Blut. Sein Arm war nur noch ein blutender Stumpf.

 

    1
    D REI M ONATE SPÄTER  – M EMORIAL D AY
    Peter war nicht sicher, was er von diesem Anruf halten sollte oder worauf er sich bei der Sache einließ. Dan Merritt, Chefarchäologe der staatlichen Behörde, hatte nur gesagt, dass draußen auf Kingdom etwas Ungewöhnliches aufgetaucht sei – etwas nie Gesehenes. »Peters Spezialität.« Der übliche Scherz. Merritts Leute arbeiteten allesamt bei anderen Grabungen, und der Top-Fachmann der University of Massachusetts für Kolonialzeit und Indianische Kultur hatte abgewunken. Also war Merritt auf Peter verfallen.
    Es war offenbar ein Job, den keiner haben wollte, aber für Peter Van Zandt war er immer noch besser als gar keiner. Ein neuer Anfang, dachte er, als er mit seinem Jeep den Friedhof verließ und die Richtung zum Hafen von Boston einschlug.
    Für ihn hatte der Memorial Day mit der Fahrt zum Friedhof, dem Mount Auburn Cemetery in Cambridge, begonnen. Zum ersten Mal war sein sechsjähriger Sohn dabei. Obgleich Andy sich nur schwach an Linda erinnerte, wollte er schon immer gern sehen, wo sie begraben lag. Bisher hatte Peter es
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