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Der Ruf der Steine

Der Ruf der Steine

Titel: Der Ruf der Steine
Autoren: Gary Goshgarian
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paar Speer- und Pfeilspitzen und einige Tonscherben vorzuweisen – nichts Aufregendes, nichts Faszinierendes, das ein Filmteam des National Geographic angelockt hätte. Kein Troja der Mohegan-Indianer und keinen Palast der Winnebago. Auf seinem Gebiet gab es weit und breit keine Sensationen.
    Dan Merritts Angebot hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Die dreimonatigen Sommerferien hatten gerade begonnen, und vor drei Wochen hatte die New Hampshire Historical Commission überraschend die einzige Grabung gekippt, die Peter interessiert hätte. Man hatte ihm etwas von fehlenden Geldern erzählt, aber in Wahrheit hatten sie ihn loswerden wollen. Anlässlich eines Interviews über seine Ausgrabungen am Mystery Hill hatte er die branchenübliche skeptische Zurückhaltung vermissen lassen und vor der Presse lauthals die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die Europäer bereits lange vor Kolumbus nach Amerika gelangt sein könnten. Drei Jahre lang hatte er an dieser Stelle gegraben, und in den Augen des archäologischen Establishments war der ausgedehnte Komplex von steingepflasterten Räumen, Wänden und Dolmen lediglich das Werk eines Farmers aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert. Zugegeben, seine Äußerung war überflüssig gewesen. Er hatte sich von der allgemeinen Spekulation mitreißen lassen, weil er einen jungen Reporter beeindrucken wollte. Ohne Beweise waren Schlussfolgerungen jedoch tabu. Und es gab keine Beweise für eine Besiedelung vor Kolumbus – weder durch die Wikinger noch durch die alten Griechen oder gar die Phönizier.
    Es gab auch keinen Beweis dafür, dass die Indianerstämme dieser Gegend jemals Steinbauten errichtet hätten. Bis etwas anderes bewiesen war, blieb der Mystery Hill das Werk von New-England-Farmern, die für ihre Steinbauten wie zum Beispiel Vorratskeller, Räucherkamine, Ställe und Whiskeyverstecke weithin bekannt waren. Ungewöhnlich und rätselhaft. Ein Schwindel in Stein. »Peters Spezialität« oder »Van Zandts Palast«, wie sie heute noch scherzten.
    In Anbetracht dieser Vorkommnisse war es verdammt anständig von Merritt, ihm die Ausgrabung auf Kingdom Head anzubieten – sozusagen eine Art Vergebung für seine Indiskretion gegenüber der Presse. Und Peter hatte nur zu gern zugegriffen, denn er brauchte den Job, ganz gleich, worum es dabei ging. Er brauchte eine Aufgabe, etwas, das weitere Schutzschichten um den schmerzenden Kern in seinem Innersten legte, den er nun schon seit zweieinhalb Jahren mit sich herumtrug.
    Die Schiffssirene tutete einmal lang, als Peter und Andy über die Gangway an Bord gingen.
    Selbst wenn sie nichts Besonderes fanden, so konnten sie sich zumindest auf einen netten Aufenthalt freuen. Andy konnte schwimmen und nach Krabben und Piratenhöhlen suchen, während Peter alte Grundmauern freilegte und vielleicht sogar einen Artikel in irgendeiner unbedeutenden Lokalzeitung veröffentlichte. Nichts Besonderes.
    Außer einigen seltsamen Berichten über ebenso seltsame Vorkommnisse existierten lediglich drei große Granitquader – vielleicht Überbleibsel der Kolonialzeit oder Reste einer indianischen Fischersiedlung. Alles in allem ein nettes Vorhaben – eine neue Aufgabe und die beste Gelegenheit, um die Gedanken an Lindas Tod ein Stück weit auf Distanz zu halten.
    Das jedenfalls dachte er.

 

    2
    Wegen der Aussicht kletterten sie auf das hintere Oberdeck. Es war voll, aber Andy drängelte sich mit Peter im Schlepptau bis zur Reling durch. Mit einem weiteren langen Tuten löste sich das Schiff vom Pier, und unmittelbar darauf erklang die nasale Stimme des Kapitäns über die Lautsprecher.
    »Lange vor Gründung der Vereinigten Staaten erkannten die Seefahrer aus Europa die Vorteile von Boston Harbor als natürlichem und besonders sicherem Hafen.«
    Während das Schiff in die Bucht hinausglitt, entfaltete sich die Silhouette der Stadt wie eine Filmkulisse.
    »Um 1630 wurde diese Bucht zur Wiege der puritanischen Kultur, und in Amerikas Kinderzeit legten die großen Familien hier in diesem Hafen, wo ihre Firmen und Banken das erste Kapital verdienten, den Grundstein für ihr Vermögen. Daran hat sich bis heute, dreihundertachtzig Jahre später, nichts geändert – der Hafen ist noch immer das Rückgrat unserer blühenden Stadt und des Staates Massachusetts. Als Besonderheit ist zu erwähnen, dass die Inseln in der Bucht bisher trotz der Nähe zur Metropole ihre Ursprünglichkeit und zum Teil völlige Weltabgeschiedenheit
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