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Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Titel: Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
Autoren: Miles Cameron
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geöffnet wurde. Sie führte ihn die Halle entlang – eine große Halle, die durch Bleiglasfenster hoch oben in den Wänden erhellt wurde. Die Äbtissin thronte wie eine Königin in einem gewaltigen Sessel, der am Nordende der Halle auf einem Podest stand. Sie trug ein Gewand, dessen Grau gerade genug Färbung aufwies, um im vielfarbigen Licht die Erinnerung an einen äußerst blassen Lavendel zu wecken. Sie schien einmal sehr schön gewesen zu sein; selbst in ihren mittleren Jahren zeigte sich diese Schönheit noch, und nicht nur in ihrem Gesicht. Der hohe Kragen des Gewandes enthüllte kaum etwas von ihr, doch ihre Haltung wirkte mehr als nur vornehm oder gar überheblich. Sie schien sich ihrer selbst auf eine Art bewusst zu sein, wie es nur die Großen im Lande waren. Der Hauptmann bemerkte, dass ihre Nonnen ihr mit einem Eifer gehorchten, der entweder einer Angst oder der Dienstfreude entsprang.
    Der Hauptmann fragte sich, was von beidem wohl zutraf.
    »Ihr habt lange gebraucht, bis hierher«, sagte sie zur Begrüßung. Dann schnippte sie mit den Fingern und befahl zwei ihrer Nonnen, ein Tablett herbeizubringen. »Wir sind Dienerinnen Gottes. Glaubt Ihr nicht, dass es besser gewesen wäre, wenn Ihr vor dem Betreten meiner Halle Eure Rüstung ausgezogen hättet?«, fragte die Äbtissin. Sie sah sich um, fing den Blick einer Novizin auf und hob eine Braue. »Hol dem Hauptmann einen Stuhl«, sagte sie. »Aber keinen gepolsterten, sondern einen stabilen.«
    »Ich trage meine Rüstung jeden Tag«, erwiderte der Hauptmann. »Sie gehört zu meinem Beruf.« Die große Halle war genauso ausgedehnt wie der Hof draußen und hatte hohe Fenster mit einer bunten Bleiverglasung knapp unterhalb des Daches. Die massiven Deckenbalken waren vor Alter und Ruß schwarz geworden. Die Wände waren verputzt und weiß gekalkt, und in den Nischen befanden sich die Bilder von Heiligen sowie zwei wertvolle Bücher, die offensichtlich die Besucher beeindrucken sollten. Die Stimme der Äbtissin hallte im Raum wider, in dem es kälter war als auf dem feuchten Hof draußen. Im zentralen Kamin brannte kein Feuer.
    Die Dienerinnen der Äbtissin brachten ihr Wein, an dem sie nippte, während neben dem Ellbogen des Hauptmanns, der sich drei Fuß unter ihr befand, ein kleiner Tisch aufgestellt wurde. »Vielleicht ist Eure Rüstung in einem Nonnenkloster unnötig?«, fragte sie.
    Er hob eine Braue. »Ich sehe hier eine Festung«, antwortete er. »Es scheint lediglich, dass sich Nonnen darin befinden.«
    Sie nickte. »Würde Eure Rüstung Euch retten, wenn ich meinen Männern befehlen würde, Euch zu ergreifen?«, fragte sie.
    Die Novizin, die ihm den Stuhl brachte, war sehr hübsch und bewegte sich mit der umsichtigen Leichtigkeit eines Schwertkämpfers oder einer Tänzerin. Er drehte ihr den Kopf zu, wollte ihren Blick auffangen und spürte das Ziehen ihrer Macht. Nun erkannte er, dass sie nicht nur hübsch war. Sie stellte den schweren Stuhl ab und schob ihn von hinten sanft gegen seine Kniekehlen. Wie zufällig berührte sie der Hauptmann am Arm, sodass sie sich zu ihm umdrehte. Er sah sie an und wandte der Äbtissin dabei den Rücken zu.
    »Danke«, sagte er und schenkte ihr ein wohlberechnetes Lächeln. Sie war groß und jung und äußerst anmutig, hatte weit auseinanderstehende mandelförmige Augen und eine lange Nase. Sie war nicht hübsch, sondern faszinierend.
    Sie errötete; die Farbe erstreckte sich wie ein Feuer über ihren Hals und unter die schwere Wollrobe.
    Er wandte sich wieder der Äbtissin zu: Er hatte sein Ziel erreicht. Der Hauptmann fragte sich, warum sie eine solch begehrenswerte Novizin in seine Reichweite geschickt hatte. War das Absicht gewesen? »Wenn ich beschließen sollte, Eure Abtei zu erstürmen, würde Eure Frömmigkeit Euch dann retten?«, fragte er.
    Sie glühte vor Wut. »Wie könnt Ihr es wagen, mir den Rücken zuzukehren?«, wollte sie wissen. »Verlass den Raum, Amicia. Der Hauptmann hat dich mit seinen Augen gebissen.«
    Er lächelte. Ihre Wut hielt er für vorgespielt.
    Sie begegnete seinem Blick und kniff die Augen zusammen, dann faltete sie die Hände, als wollte sie beten.
    »Ehrlich, Hauptmann, ich habe immer wieder um die richtige Entscheidung gebetet. Euch zum Kampf gegen die Wildnis aufzufordern ist wie einen Wolf zum Schutz einer Schafsherde zu kaufen.« Sie sah ihm fest in die Augen. »Ich weiß, was Ihr seid«, meinte sie.
    »Wirklich?«, fragte er. »Umso besser, Äbtissin. Können wir dann zum
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