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Der Rosenmord

Der Rosenmord

Titel: Der Rosenmord
Autoren: Ellis Peters
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vermute ich«, sagte er, wieder ernster werdend und sich seinen eigenen Sorgen zuwendend, »daß Geoffrey weit eher darauf aus ist, die Normandie zu erobern, als seine Zeit in England zu vergeuden. Wie ich hörte, ist er eifrig mit Eroberungen beschäftigt und wahrscheinlich nicht bereit, davon abzulassen. Statt seine Hilfe anzubieten, wird er Robert wohl eher verleiten, ihm in der Normandie zu helfen.«
    »Jedenfalls zeigt er wenig Interesse an seiner Frau oder deren Plänen«, pflichtete Cadfael trocken bei. »Nun, wir werden ja sehen, ob Robert ihn umstimmen kann. - Kommt Ihr heute morgen zur Messe?«
    »Nein, ich muß morgen für ein oder zwei Wochen nach Maesbury. Die Schafschur sollte eigentlich schon erledigt sein, aber sie wurde wegen der Kälte verschoben. Die Leute dort haben jetzt alle Hände voll zu tun. Aline und 3iles werden den Sommer dort verbringen. Ich selbst werde, je nach Bedarf, teils dort und teils hier sein.«
    »Ein Sommer ohne Aline und meinen Patensohn«, entgegnete Cadfael vorwurfsvoll, »das ist keine Eröffnung, die Ihr mir ohne Vorbereitung machen dürft. Schämt Ihr Euch denn gar nicht?«
    »Nicht im geringsten! Denn unter anderem bin ich gekommen, um Euch für heute abend zum Essen einzuladen, bevor wir morgen früh aufbrechen. Abt Radulfus hat seine Erlaubnis und seinen Segen gegeben. Und nun geht und betet um gutes Wetter und einen leichten Ritt für uns.« Damit drängte Hugh seinen Freund mit einem herzhaften Stoß zur Ecke des Kreuzganges und zur Südtür der Kirche.
    Es mochte Zufall gewesen sein, vielleicht aber auch jene eigenartige Folgerichtigkeit, die unmittelbar nach der Erinnerung das Erinnerte auf den Plan ruft. Jedenfalls befand sich an diesem Tag auch die Witwe Perle in der kleinen Schar der Gläubigen, die im Gemeindeteil der Kirche an der Messe teilnahmen. Vor dem Gemeindealtar waren immer ein paar Laien auf den Knien. Einige hatten aus verschiedenen Gründen die Gemeindemesse versäumt, einige andere waren alt und einsam und wollten ihre langen Stunden mit der Teilnahme an möglichst vielen Gottesdiensten füllen, und schließlich gab es noch einige, die ganz besondere Anliegen hatten und eine zusätzliche Gelegenheit suchten, ihre Bitten vorzubringen.
    Manche, die geschäftlich in die Vorstadt kamen, zu diesen zählte auch die Witwe Perle, nutzten die Gelegenheit, sich etwas Zeit zum Nachdenken und für die innere Einkehr zu nehmen. Von seinem Platz im Chorgestühl aus konnte Bruder Cadfael hinter dem großen Gemeindealtar gerade noch ihren schön geformten Kopf, ihre Schultern und einen Arm sehen.
    Eigenartig, daß eine so stille und bescheidene Frau dennoch auf den ersten Blick sofort zu erkennen war. Vielleicht war es die aufrechte Haltung ihrer schmalen Schultern, vielleicht auch ihr volles braunes Haar, das schwer vom andächtig geneigten Kopf herabfiel. Höchstens fünfundzwanzig Jahre war sie alt und hatte ihre glückliche Ehe nur drei Jahre auskosten dürfen, doch sie trug den Verlust und ihr einsames Leben ohne Murren und Klagen, ging gewissenhaft ihren Geschäften nach, die ihr keine persönliche Freude schenkten, und stellte sich gefaßt und mit überraschender Tatkraft der Aussicht, den Rest ihres Lebens allein zu verbringen. Im Glück wie im Unglück ist das Leben eine Aufgabe, die gewissenhaft erfüllt werden muß.
    Ein Segen, dachte Cadfael, daß sie nicht ganz allein ist. Sie hat ja noch die Schwester ihrer Mutter, die ihr in der Wohnung über dem Laden den Haushalt führt, und ihr Vetter ist ein gewissenhafter Aufseher und Vorarbeiter, der die Last des Geschäfts von ihren Schultern nehmen kann.
    Als Entgelt für das Haus in der Vorstadt, wo ihr Mann gestorben war, sollte sie jedes Jahr eine Rose bekommen. Nur in der Bitte um dieses Erinnerungsstück kamen ihr Kummer und ihr Leid zum Ausdruck, nachdem sie sich freiwillig von ihrem kostbarsten Besitz getrennt hatte.
    Judith Perle, geborene Judith Vestier und Alleinerbin des größten Tuchmachergeschäftes der Stadt, war keine schöne Frau. Doch sie besaß eine natürliche Würde, die auch in einer Menschenmenge die Blicke anzog. Sie war ungewöhnlich groß für eine Frau, schlank und aufrecht, und bewegte sich mit großer Anmut. Der Kranz ihres glänzenden braunen Haars, von einer Farbe wie verwitterte Eiche, saß über einem bleichen, schmalen Gesicht mit hoher Stirn und spitzem Kinn. Kräftige Wangenknochen hatte sie und einen sensiblen Mund, elegant geschwungen, aber zu breit, um schön zu sein.
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