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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd
Autoren: Margaret Atwood
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Fuß der Treppe befindet sich ein Hut- und Schirmständer, aus Bugholz, lange, gerundete Holzsprossen, die sich sanft zu Haken in der Form sich öffnender Farnwedel emporschwingen. Mehrere Schirme stehen darin: ein schwarzer für den Kommandanten, ein blauer für die Frau des Kommandanten, und der für mich bestimmte, der rot ist. Ich lasse den roten Schirm stehen, denn vom Blick aus dem Fenster weiß ich, daß die Sonne scheint. Ich überlege, ob die Frau des Kommandanten wohl im Wohnzimmer sitzt. Sie sitzt nicht immer. Manchmal höre ich, wie sie hin und her geht, ein schwerer Schritt und dann ein leichter und das leise Pochen ihres Gehstocks auf dem altrosa Teppich.
     
    Ich gehe durch die Diele, an der Wohnzimmertür und an der Tür, die ins Eßzimmer führt, vorbei. Ich öffne die Tür am Ende der Diele und gehe hindurch in die Küche. Hier herrscht nicht mehr der Geruch nach Möbelpolitur. Rita ist da. Sie steht am Küchentisch, dessen Platte mit weißer, angeschlagener Emaille überzogen ist. Sie trägt ihr übliches Martha-Kleid, das dunkelgrün ist, wie ein Chirurgenkittel in der Zeit davor. Das Kleid ist im Schnitt meinem sehr ähnlich, lang und verhüllend, aber mit einem Servierschürzchen davor, und ohne die weißen Flügel und den Schleier. Sie legt den Schleier an, wenn sie ausgeht, obwohl sich niemand weiter darum zu kümmern scheint, wer das Gesicht einer Martha zu sehen bekommt. Ihre Ärmel sind bis zu den Ellbogen aufgekrempelt, so daß man ihre braunen Arme sieht. Sie ist dabei, Brot zu backen, und teilt gerade den Teig ein, ehe sie die Laibe ein letztes Mal kurz knetet und formt.
    Rita sieht mich und nickt, ob zum Gruß oder einfach nur zum Zeichen, daß sie meine Anwesenheit wahrgenommen hat, ist schwer zu sagen. Sie wischt sich ihre mehligen Hände an der Schürze ab und sucht in der Küchenschublade nach dem Gutscheinheft. Stirnrunzelnd reißt sie drei Gutscheine heraus und gibt sie mir. Ihr Gesicht könnte freundlich sein, wenn sie lächeln würde. Doch das Stirnrunzeln ist nicht persönlich gemeint: Es ist das rote Kleid, was ihr mißfällt, und das, wofür es steht. Sie meint, ich wäre womöglich ansteckend, wie eine Krankheit oder irgendein anderes Unglück.
    Manchmal horche ich an geschlossenen Türen. In der Zeit davor hätte ich das nie getan. Ich horche nicht lange, weil ich nicht dabei ertappt werden möchte. Einmal habe ich jedoch gehört, wie Rita zu Cora sagte, sie selber würde sich nicht derartig entwürdigen.
    Von dir verlangt es ja auch keiner, sagte Cora. Im übrigen, was könntest du dagegen tun, wenn es von dir verlangt würde?
    In die Kolonien gehen, sagte Rita. Man hat die Wahl.
    Zu den Unfrauen, und dort verhungern und weiß Gott was sonst? sagte Cora. Dich möchte ich sehen!
    Sie palten Erbsen aus; sogar durch die fast geschlossene Tür hörte ich das leichte Aufprallen der harten Erbsen, die in die Metallschüssel fielen. Ich hörte, wie Rita ein Grunzen oder einen Seufzer von sich gab, Protest oder Zustimmung.
    Immerhin tun sie es für uns alle, sagte Cora. Oder behaupten es jedenfalls. Wenn ich mich nicht hätte sterilisieren lassen, hätte es auch mich treffen können, wäre ich, sagen wir, zehn Jahre jünger. So schlimm ist es auch wieder nicht. Schwere Arbeit kannst du es nicht gerade nennen.
    Besser sie als ich, sagte Rita, und ich öffnete die Tür. Ihre Gesichter sahen so aus, wie Gesichter von Frauen aussehen, die hinter deinem Rücken über dich gesprochen haben und denken, du hast es gehört: verlegen, aber auch ein bißchen herausfordernd, als hätten sie ein Recht darauf. An diesem Tag war Cora liebenswürdiger zu mir als sonst, Rita dagegen mürrischer.
    Heute würde ich, trotz Ritas verschlossenen Gesichts und ihrer zusammengepreßten Lippen, lieber hier bleiben, in der Küche. Cora würde vielleicht dazukommen, von irgendwoher im Haus, ihre Flasche Zitronenöl und ihr Staubtuch in der Hand, und Rita würde Kaffee kochen – in den Häusern der Kommandanten gibt es noch echten Kaffee –, und wir würden an Ritas Küchentisch sitzen, der genauso wenig Ritas Küchentisch ist, wie mein Tisch meiner ist, und wir würden reden, über Schmerzen und Beschwerden, Krankheiten, über unsere Füße, unsere Rücken, über all die verschiedenen Unarten, die unsere Körper sich wie aufsässige Kinder einfallen lassen. Wir würden zur Bekräftigung dessen, was jede von uns sagte, mit den Köpfen nicken und einander zu verstehen geben, daß wir, natürlich, über alles
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