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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd
Autoren: Margaret Atwood
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sie im Wohnzimmer und näht, den linken Fuß auf dem Schemel, wegen ihrer Arthritis. Oder sie strickt Schals, für die Engel an der Front. Ich kann mir kaum vorstellen, daß die Engel Bedarf an solchen Schals haben, und die von der Frau des Kommandanten gestrickten sind ohnehin zu kunstvoll. Mit dem Kreuz-und-Stern-Muster, das viele der anderen Ehefrauen wählen, gibt sie sich gar nicht erst ab. Es ist ihr nicht schwierig genug. Tannenbäume stehen an den Enden ihrer Schals stramm, oder Adler, oder steife androide Gestalten, Junge und Mädchen, Junge und Mädchen. Es sind keine Schals für ausgewachsene Männer, sondern für Kinder.
    Manchmal denke ich, daß diese Schals gar nicht an die Engel geschickt, sondern aufgeribbelt und wieder in Wollknäuel verwandelt werden, damit die Frauen sie von neuem verstricken. Vielleicht dient das Stricken nur dazu, die Ehefrauen zu beschäftigen, ihnen das Gefühl der Nützlichkeit zu vermitteln. Aber ich beneide die Frau des Kommandanten um ihr Strickzeug. Es ist gut, kleine Ziele zu haben, die leicht erreicht werden können.
    Worum beneidet sie mich?
    Sie spricht nicht mit mir, sofern sie es irgend vermeiden kann. Ich bin für sie ein Tadel, ein Vorwurf – und eine Notwendigkeit.
     
    Vor fünf Wochen standen wir uns zum erstenmal gegenüber, als ich hier eintraf, um diese Stellung anzutreten. Der Wächter von der früheren Stelle brachte mich bis an die Haustür. Am ersten Tag dürfen wir durch die Haustür eintreten, aber danach sollen wir die Hintertür benutzen. Es hat sich alles noch nicht richtig eingespielt, es ist noch zu früh, man ist sich noch nicht klar über unseren genauen Status. Wenn noch eine Weile vergangen ist, werden wir alle nur noch die Haustür oder nur noch die Hintertür benutzen dürfen.
    Tante Lydia sagte, sie setze sich dafür ein, daß es die Haustür sei. Ihr habt schließlich eine ehrenhafte Stellung, sagte sie.
    Der Wächter klingelte für mich, aber noch bevor Zeit war, die Glocke zu hören und herbeizueilen, ging die Tür nach innen auf. Sie muß dahinter gestanden und gewartet haben. Ich war auf eine Martha gefaßt, aber statt dessen war sie es, unverkennbar in ihrem langen taubenblauen Gewand.
    Du bist also die Neue, sagte sie. Sie trat nicht beiseite, um mich einzulassen. Sie stand einfach nur in der Tür und versperrte den Eingang. Sie wollte mir zu verstehen geben, daß ich nur auf ihr Geheiß das Haus betreten konnte. Es gibt heute oft harte Rangeleien um solche Machtpositionen.
    Ja, sagte ich.
    Laß das auf der Veranda. Das sagte sie zu dem Wächter, der meine Tasche trug. Die Tasche war aus rotem Vinyl und nicht sehr groß. Ich hatte noch eine andere Tasche, die den Winterumhang und wärmere Kleider enthielt, aber die würde später nachkommen.
    Der Wächter setzte die Tasche ab und salutierte. Dann hörte ich hinter mir seine sich entfernenden Schritte und das Klicken des Gartentors, und ich hatte das Gefühl, als würde mir ein schützender Arm entzogen. Die Schwelle eines neuen Hauses ist ein einsamer Ort.
    Sie wartete, bis der Motor angelassen wurde und das Auto davonfuhr. Ich sah ihr nicht ins Gesicht, sondern auf den Teil von ihr, den ich mit gesenktem Kopf sehen konnte: die blaue, dick gewordene Taille, die linke Hand auf dem Elfenbeinknauf ihres Gehstocks, die großen Diamanten am Ringfinger, der einmal sehr hübsch gewesen sein mußte und jetzt noch gepflegt aussah, mit dem zu einer sanft gerundeten Spitze gefeilten Fingernagel am Ende des knöchernen Fingers, Er wirkte an diesem Finger wie ein ironisches Lächeln, wie etwas, das sich über sie lustig machte.
    Dann komm nur herein, sagte sie, wandte mir den Rücken zu und hinkte durch die Diele. Mach die Tür hinter dir zu.
    Ich trug die rote Tasche nach drinnen, wie sie es zweifellos gewollt hatte, dann schloß ich die Tür. Ich sagte nichts zu ihr. Tante Lydia sagte immer, es sei das beste, nur zu sprechen, wenn sie uns eine direkte Frage stellten. Versetzt euch einmal in ihre Lage, sagte sie, die Hände gefaltet und fest aneinander gedrückt, mit ihrem nervösen flehenden Lächeln. Es ist nicht leicht für sie.
    Hier herein, sagte die Frau des Kommandanten. Als ich ins Wohnzimmer trat, saß sie schon auf ihrem Stuhl, den linken Fuß auf dem Schemel mit dem Petit-Point-Polster: Rosen in einem Korb. Ihr Strickzeug lag auf dem Boden neben dem Stuhl, mit durchgesteckten Nadeln.
    Ich stand mit gefalteten Händen vor ihr. Also, sagte sie. Sie hielt eine Zigarette zwischen den
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