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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd
Autoren: Margaret Atwood
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getönt, und die Männer auf den Vordersitzen tragen dunkle Brillen: doppelte Verdunklung.
    Die Gefangenenwagen sind jedenfalls noch leiser als die anderen Autos. Wenn sie vorbeifahren, wenden wir unsere Augen ab. Wenn von drinnen Geräusche herausdringen, versuchen wir, sie nicht zu hören. Niemandes Herz ist erhaben.
    Wenn die schwarzen Gefangenenwagen an einen Kontrollpunkt kommen, werden sie ohne Verzögerung weitergewinkt. Die Wächter würden das Risiko, hineinzuschauen, die Wagen zu durchsuchen, an ihrer Autorität zu zweifeln, nicht eingehen wollen. Einerlei was sie denken.
    Falls sie denken. Man kann es nicht erkennen, wenn man sie anschaut.
    Doch wahrscheinlicher ist, daß sie nicht an Kleidungsstücke denken, die auf dem Rasen abgelegt werden. Wenn sie an einen Kuß denken, dann müssen sie sofort an aufleuchtende Flutlichtscheinwerfer und an Gewehrschüsse denken. Sie denken lieber daran, ihre Pflicht zu tun, an ihre Beförderung zum Engel und daran, daß ihnen möglicherweise erlaubt wird zu heiraten, und daß ihnen, falls sie in der Lage sind, genügend Macht zu erringen, und falls sie alt genug werden, eine eigene Magd zugestanden wird.
     
    Der mit dem Schnurrbart öffnet das schmale Fußgängertor für uns und tritt zurück, weit aus dem Weg. Wir gehen hindurch. Während wir weitergehen, weiß ich, daß sie uns beobachten, diese beiden Männer, denen es noch nicht erlaubt ist, Frauen zu berühren. Sie berühren sie statt dessen mit ihren Augen, und ich wiege mich ein wenig in den Hüften und spüre, wie der weite rote Rock dabei um mich schwingt. Es ist, als ob man jemandem hinter einem Zaun hervor eine lange Nase macht oder als ob man einen Hund mit einem Knochen lockt, den man außer Reichweite hält, und ich schäme mich dafür, daß ich es tue, denn nichts von alledem ist die Schuld dieser Männer: Sie sind zu jung.
    Dann merke ich, daß ich mich doch nicht schäme. Ich genieße die Macht; die Macht eines Hundeknochens, passiv, aber existent. Ich hoffe, daß sie bei unserem Anblick hart werden und sich verstohlen an der gestrichenen Sperre reiben müssen. Später in der Nacht, in ihren aufgereihten Betten werden sie leiden. Sie haben jetzt kein Ventil mehr, außer sich selbst, und das ist ein Sakrileg. Es gibt keine Zeitschriften mehr, keine Filme mehr, keinen Ersatz mehr, nur mich und meinen Schatten, während wir uns von den beiden Männern entfernen, die in Habachtstellung stehen, steif, an einer Straßensperre, und unseren sich entfernenden Gestalten nachsehen.
     

Kapitel fünf
    Verdoppelt, gehe ich die Straße entlang. Wir sind jetzt nicht mehr im Wohnbezirk des Kommandanten, doch auch hier gibt es große Häuser. Vor einem mäht ein Wächter den Rasen. Die Rasenflächen sind gepflegt, die Fassaden geschmackvoll, in gutem Zustand; sie sehen aus wie auf den schönen Bildern früher, die in den Zeitschriften über Häuser und Gärten und schönes Wohnen zu finden waren. Auch hier die gleiche Menschenleere, die gleiche verschlafene Atmosphäre. Die Straße wirkt fast wie ein Museum, oder wie eine Straße in einer Modellstadt, die gebaut wurde, um zu zeigen, wie die Menschen früher lebten. Und wie auf den Bildern von einst, in den Museen und in den Modellstädten gibt es auch hier keine Kinder.
    Das hier ist das Herz Gileads, in das der Krieg nicht eindringen kann, außer im Fernsehen. Wo die Fronten sind, dessen sind wir uns nicht sicher, sie verschieben sich, je nach Angriff und Gegenangriff; doch das hier ist das Zentrum, wo nichts sich bewegt. Die Republik Gilead, sagte Tante Lydia, kennt keine Grenzen. Gilead ist in euch.
    Ärzte haben hier einst gelebt, Rechtsanwälte, Universitätsprofessoren. Es gibt keine Rechtsanwälte mehr, und die Universität ist geschlossen.
    Luke und ich sind manchmal zusammen durch diese Straßen gegangen. Wir sprachen davon, daß wir uns auch ein Haus kaufen wollten, eines wie die hier, ein altes großes Haus, das wir renovieren würden. Ein Haus mit einem Garten, mit Schaukeln für die Kinder. Wir würden Kinder haben. Zwar wußten wir, daß wir uns Kinder höchstwahrscheinlich niemals leisten könnten, aber es war etwas, worüber man sprechen konnte, ein Spiel für Sonntage. Solche Freiheit erscheint jetzt fast schwerelos.
    Wir biegen um die Ecke und kommen auf eine Hauptstraße, wo mehr Verkehr herrscht. Autos fahren vorbei, die meisten schwarz, einige grau und braun. Wir begegnen anderen Frauen mit Einkaufskörben, manche in Rot, manche in dem dumpfen
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