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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende
Autoren: Orson Scott Card
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letztes Mal. Diesmal schien das Schweigen ewig zu währen. Als Alvin hier angekommen war, hatte die Sonne am höchsten Punkt am Himmel gestanden; als Tenskwa-Tawa sich endlich wieder bewegte, mit dem Kopf nickte, berührte sie die Gipfel der Berge im Westen. Wie Alvin hatte auch er geweint, und dann hatte er so lange gewartet, bis die Tränen getrocknet waren, und dann hatte er erneut geweint, ohne daß sein Gesichtsausdruck sich veränderte oder auch nur ein einziger Muskel seines Körpers sich bewegte, während die beiden sich in dem hohen, trockenen Herbstgras, in dem kalten, trockenen Herbst wind gegenüber saßen. Dann öffnete er den Mund und sprach wieder. »Ich habe den Fluch von ihnen genommen«, sagte er.
    Alvin umarmte seinen alten Lehrer. Ein Roter hätte sich nicht so verhalten, aber Alvin hatte sich den ganzen Nachmittag über wie ein Roter benommen, und so akzeptierte Tenskwa-Tawa die Geste und erwiderte sie sogar. Als die Hände des Roten Propheten ihn berührten, er das Haar des Alten an seiner Wange und sein Gesicht an der Schulter spürte, fiel Alvin ein, daß er einmal mit dem Gedanken gespielt hatte, Tenskwa-Tawa zu bitten, den Fluch über Harrisons zu verstärken, zu verhindern, daß er seine blutigen Hände auch in Zukunft mißbrauchte. Nun schämte er sich dafür. Wenn die Toten vergeben konnten, sollte dies auch den Lebenden möglich sein. Harrison würde seinen eigenen Weg durch das Leben und seinen eigenen Pfad zum Tod gehen. Das Urteil würde, wenn überhaupt, jemand fällen, der klüger als Alvin war.
    Als sie sich aus dem Gras erhoben, schaute Tenskwa-Tawa nach Norden, zu dem größeren See. »Schau, da kommt jemand.«
    Alvin sah ebenfalls in diese Richtung. Ganz in der Nähe lief ein Mann gemächlich über einen Weg, der durch das mannshohe Gras führte. Er lief nicht auf die Art der Roten, sondern auf die der Weißen, und er war nicht mehr jung. Sein hut- und haarloser Kopf funkelte kurz im Sonnenlicht.
    »Das ist doch nicht etwa Geschichtentauscher?« fragte Alvin.
    »Die Sho-sho-nay haben ihn zu sich eingeladen, um Geschichten mit ihm zu tauschen«, sagte Tenskwa-Tawa.
    Statt weitere Fragen zu stellen, wartete Alvin mit Tenskwa-Tawa, bis Geschichtentauscher den steilen, langen Pfad hinaufgestiegen war. Wie zu erwarten, war er bei der Ankunft außer Atem. Doch als Alvin sein Talent durch Geschichtentauschers Körper schickte, war er überrascht, bei welch ausgezeichneter Gesundheit der Alte war. Sie begrüßten einander herzlich, und Alvin erzählte ihm die Neuigkeit. Geschichtentauscher lächelte Tenskwa-Tawa zu. »Dein Volk ist besser, als du gedacht hast«, sagte er.
    »Oder vergeßlicher«, sagte Tenskwa-Tawa bedauernd.
    »Ich bin froh, daß ich zufällig hier bin, um diese Nachricht zu vernehmen«, sagte Geschichtentauscher. »Wenn ihr durch das Haus der Weberin zurückkehrt, würde ich euch gern begleiten.«
    Als Alvin und Geschichtentauscher zu Beccas Hütte im Mittelpunkt des Weberhauses zurückkehrten, war es schon seit zwei Stunden dunkel. Ta-Kumsaw war zu ihnen hinaus gegangen und hatte Peggys und Alvins Freunde eingeladen, ins Haus zu kommen und mit seiner Familie zu essen. Beccas Schwester und deren Töchter und Sohn gesellten sich zu ihnen. Sie aßen Eintopf mit Bisonfleisch, Essen des roten Mannes, das auf Art des weißen Mannes gekocht worden war, ein Kompromiß, wie so vieles andere in diesem Haus. Ta-Kumsaw hatte sich unter dem Namen Isaac Weaver vorgestellt, und Peggy achtete darauf, ihn nicht anders anzusprechen.
    Alvin und Geschichtentauscher fanden sie, wie sie in der Stube auf ihrem Bettzeug lagen – außer Peggy, die auf einem Stuhl saß – und Verily Cooper lauschten, der ihnen von seinem Leben in England erzählte, und von den Täuschungsmanövern, auf die er hatte zurückgreifen müssen, um sein Talent vor allen Leuten zu verbergen. Sie wandte ihr Gesicht zur Tür, bevor ihr Ehemann und ihr alter Freund sie öffneten; die anderen drehten sich ebenfalls um, so daß alle Blicke auf sie gerichtet waren. Aufgrund der Freude auf Alvins Gesicht wußten sie sofort, wie Tenskwa-Tawas Antwort gelautet hatte.
    »Ich will noch heute abend losreiten und es ihnen erzählen«, sagte Armor-of-God. »Ich will, daß sie die gute Nachricht sofort erfahren.«
    »Zu dunkel«, sagte Ta-Kumsaw, der aus der Küche gekommen war; er hatte seiner Schwägerin beim Abwasch vom Abendessen geholfen.
    »Jetzt gibt es keine Regeln mehr, der Fluch wurde von uns genommen«, sagte Alvin.
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