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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman
Autoren: Aufbau
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du machen solltest. Eine Stunde lang habt ihr euch im Park gegenüber herumgedrückt und überlegt, ob ihr ihn zurückgeben solltet oder nicht. Als du ihn schließlich zurückbrachtest, haben die Ladeninhaber deine Ehrlichkeit mit einem so großzügigen Preisnachlass belohnt, dass es ein Verbrechen gewesen wäre, ihn nicht zu kaufen. Dein Dufflecoat. Deshalb mochtest du ihn so: Er hatte eine Geschichte.
    Und dann die Geschichte, als du mit Edding »Arschloch« auf sämtliche Autoscheiben deines Philosophieprofs geschrieben hast, weil er dich durch die Prüfung hatte rasseln lassen. Doch dann hast du gemerkt, dass es gar nicht sein Auto war, sondern das des örtlichen Carabinieri-Hauptmannes. Unter großem Gelächter hatten Claudia und Angela dich wegzerren müssen, weil du dich unbedingt stellen wolltest. Am nächsten Tag hast du eine Entschuldigung unter den Scheibenwischer geklemmt.
    Wir reden, und du bist heiter.
    Jetzt habe ich begriffen: es stimmt nicht, dass Tote nichts mehr brauchen. Das Schrecklichste ist nicht, einen geliebten Menschen zu verlieren, sondern nicht mehr von ihm zu sprechen.
    Heute Abend bin ich auch heiter. Alles, was mir seit dem Beginn meines Lebens ohne dich passiert ist, erscheint mir jetztwie etwas, das nichts mit mir zu tun hat, nicht zu mir gehört, zumindest nicht so, wie es sollte.
    Und Gabriele?
    Einen Moment lang sehe ich ihn allein am Tisch sitzen, der zusammengeschrumpft zu sein scheint. Er zeichnet und zeichnet, und ich gehe zu ihm und betrachte die Zeichnung, auf der wir beide in einer weißen Landschaft zu sehen sind, in der sonst nichts ist. Na also, denke ich lächelnd, das ist Zerolandia.
    Aus Gabrieles Mund kommt eine Sprechblase wie in einem Comic:
    »Wo bist du bloß?«
    Ich bin hier.

2. Februar
    Heute hat Greci mich im Flur abgepasst und mir gesagt, er wolle mit mir reden. Wir sind zum Lehrerzimmer gegangen und davor stehen geblieben. »Wusstest du das?«, fragt er mich rundheraus, zieht ein Stück Papier aus der Tasche und wedelt mir damit vor der Nase herum. »Was denn?« – »Von Gabriele, das wusstest du nicht?« Fragend wandert mein Blick zwischen ihm und dem Zettel hin und her. »Gabriele Righi«, sagt er und sieht mir in die Augen, »er hat die Schule geschmissen. Er hat das hier für mich im Lehrerzimmer abgegeben.« Wieder fuchtelt er mit dem Zettel herum. »Hat er dir nichts davon gesagt?« Ich schüttele den Kopf und spüre, wie mein Magen sich zusammenkrampft. Plötzlich will ich nicht mehr in die Klasse gehen, ich will nur weg, raus an die Luft, atmen. Greci sieht mich an und sagt: »Das tut mir leid.« Ich tue so, als ließe die Nachricht mich kalt, und starre durch die Fensterfront in den Hof. »Was sollte Ihnen denn leidtun? Wir sind noch nicht mal befreundet.« Meine Stimme zittert unmerklich. »Er ist nach Amsterdam gegangen«, sagt er. »Und du hattest wirklich keine Ahnung?« Ich schüttele den Kopf und zwinge mich, gleichgültig zu bleiben. »Ich muss jetzt los«, sagt er freundlich, »und du auch, es ist Zeit, in die Klasse zu gehen. Wenn du willst, können wir später weiterreden.« Ich nicke und kehre in meine Klasse zurück. Als mein Blick auf den leeren Tisch fällt, krampft sich mein Herz zusammen. Ich bin kurz davor, wegzulaufen, doch jetzt ist es zu spät. Langsam ziehe ich den Stuhl zurückund setze mich hin. Die erste Stunde bin ich wie versteinert, ich kann kaum die Bücher herausholen und ziehe erst nach einer ganzen Weile die Jacke aus. Es ist das zweite Mal, dass ich in dieser Zeit verlassen werde, in diesem Winter, der nicht enden zu wollen scheint. Erst jetzt wird mir klar, wie sehr ich jeden Morgen auf ihn gewartet habe, und auch wenn er nicht kam, wusste ich, dass er irgendwo war und früher oder später wieder auftauchen würde. Amsterdam ist ewig weit weg. Ich sehe auf die andere Hälfte des Tisches, und die Sehnsucht schnürt mir die Kehle zu. Ich meine, den Kältegeruch seiner Jacke zu riechen, sehe ihn vor mir, wie er über seinem Block sitzt und zeichnet. Ich strecke die Hand über den Tisch, als wollte ich nach seiner greifen. Wie viele Stunden hatte ich, um es wirklich zu tun? Wie viele Minuten? Jetzt ist es eine leere, lächerliche Geste.
    Nicht einmal angerufen hast du mich, nicht einmal eine Nachricht geschickt. Verschwunden, einfach so. Ich hole das Handy raus und überlege, dass ich es tun könnte, doch wozu? Wenn er es mir hätte sagen wollen, hätte er es getan.
    Auf der Heimfahrt mache ich einen riesigen Umweg und
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